Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der sachgrundlosen Befristung durch Sonderreglungen des Innungskrankenkassen-Tarifvertrages. Unwirksam befristetes Arbeitsverhältnis einer Sozialversicherungsfachangestellten bei arbeitsvertraglicher Inbezugnahme des IKK-Tarifvertrages
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der seit Juli 2005 geltenden Fassung der Protokollnotiz 1 zu Nr. 1 der Anlage SR 2y (“Sonderregelungen für Zeitangestellte, Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer und Aushilfsangestellte„) des Innungskrankenkassen-Tarifvertrages (IKK-TV) dürfen Zeitangestellte nur eingestellt werden, wenn hierfür sachliche oder in der Person der Angestellten liegende Gründe vorliegen. Durch diese Formulierung ist der Arbeitgeberin ein Rückgriff auf § 14 Abs. 2 TzBfG zur Rechtfertigung einer Befristung verwehrt.
2. Haben die Parteien im Arbeitsvertrag die Geltung der “für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge„ “in der jeweils gültigen Fassung„ vereinbart und enthält dieser Vertrag keine Regelung dergestalt, dass die Protokollnotiz 1 zu Nr. 1 der Anlage SR 2y nicht gelten soll (“Von den in der SR 2y BAT enthaltenen Regelungen für Zeitangestellte gilt die Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT nicht„), sind die tariflichen Sonderregelungen für Zeitangestellte, Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer und Aushilfsangestellte auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden.
3. Ein Rückgriff auf § 14 Abs. 2 TzBfG kommt nicht deshalb in Betracht, weil eine Anwendung des § 14 Abs. 2 TzBfG für die klagende Arbeitnehmerin günstiger wäre als die tarifvertragliche Regelung (Günstigkeitsprinzip). Die tarifliche Regelung ist aus Sicht der Arbeitnehmerin günstiger als § 14 Abs. 2 TzBfG, weil der Tarifvertrag befristete Arbeitsverträge an strengere Voraussetzungen knüpft als das Gesetz und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen stärkeren Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses verschafft.
4. Die Bezeichnung eines Arbeitsvertrages als “Zeitanstellung: Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG„ ist nach den Regeln des Transparenzgebots gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unbeachtlich.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 2; IKK-TV SR 2y; BGB § 307 Abs. 1 S. 2, § 611 Abs. 1; IKK-TV Anlage SR 2y Nrn. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 01.08.2017; Aktenzeichen 2 Ca 789/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 01.08.2017 - 2 Ca 789/17 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Beschäftigungsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum 14.07.2017 beendet worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 14.07.2017 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung eines Arbeitsvertrages und einen Weiterbeschäftigungsantrag.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 15.07.2015 als Sozialversicherungsfachangestellte beschäftigt gewesen. im Arbeitsvertrag vom 02.07.2015 heißt es auszugsweise:
"Arbeitsvertrag
- Zeitanstellung: Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG -
Zwischen der ...
- Arbeitgeber -
und
Frau ...
- Angestellte -
wird folgender Arbeitsvertrag geschlossen:
§ 1 Frau ... wird ab 15.07.2015 befristet bis 14.07.2017 als vollbeschäftigte Angestellte eingestellt.
§ 2 Für das Arbeitsverhältnis gelten die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge sowie Dienstvereinbarungen in der jeweils gültigen Fassung.
..."
Wegen des weiteren Vertragsinhalts wird auf die zur Akte gereichte Kopie verwiesen (Bl. 14, 15 GA).
Der Tarifvertrag enthält in seiner Anlage 2 y "Sonderregelungen für Zeitangestellte, Angestellte für Aufgaben für begrenzter Dauer und Aushilfsangestellte (SR 2y Innungskrankenkassen-Tarifvertrag - SR 2y IKK-TV -)". Dort ist unter anderem bestimmt:
"Nr. 1
Zu §§ 1 und 2 - Geltungsbereich -
Diese Sonderregelungen gelten für Angestellte,
a) deren Arbeitsverhältnis mit Ablauf einer kalendermäßig bestimmten Frist enden soll (Zeitangestellte),
b) die für eine Aufgabe von begrenzter Dauer eingestellt sind und bei denen das Arbeitsverhältnis durch Eintritt eines bestimmten Ereignisses oder durch Ablauf einer kalendermäßig bestimmten Frist enden soll (Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer),
c) die zur Vertretung oder zeitweiligen Aushilfe eingestellt werden (Aushilfsangestellte).
Protokollnotiz:
1. Zeitangestellte dürfen nur eingestellt werden, wenn hierfür sachliche oder in der Person des Angestellten liegende Gründe vorliegen....
Nr. 2
Zu § 4 - Schriftform, Nebenabreden -
(1) Im Arbeitsvertrag ist zu vereinbaren, ob der Angestellte als Zeitangestellter, als Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer oder als Aushilfsangestellte eingestellt wird.
..."
Wegen des vollständigen Wortlauts der SR 2 y Innungskrankenkassen-Tarifvertrag in der aktuellen - seit Juli 2005 gültigen - Fassung wird auf die zur Akte gereichte Kopie Bezug genommen (Bl. 64 - 66 G...