Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Anrechnung von Anwesenheitsprämien auf die Jahressonderzahlung nach § 10 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Spedition-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2005
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtige. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.
2. Die Auslegung von § 10 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Spedition-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2005 ergibt, dass Anwesenheitsprämien auf die Jahressonderzahlung angerechnet werden können.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Spedition-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04. 2005 § 10
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Urteil vom 03.05.2007; Aktenzeichen 4 Ca 2649/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.05.2007 – 4 Ca 264/06 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt werden.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung von Weihnachtsgeld bzw. einer Jahressonderzahlung für das Jahr 2006.
Der Kläger ist seit dem 10.08.1998 bei der Beklagten als Schlepperfahrer beschäftigt. Wegen des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12.08.1998 wird auf Bl. 27 ff. d. A. Bezug genommen. Die monatliche Vergütung des Klägers betrug zuletzt 1.684,– EUR brutto. Entsprechend einer Vereinbarung der Parteien erhielt der Kläger Anwesenheitsprämien, die im Jahre 2006 einen Betrag von insgesamt 1.900,82 EUR ausmachten. Wegen des Inhalts des Schreibens vom 11.06.2001, mit dem die Beklagte dem Kläger die Zahlung der Anwesenheitsprämie zugesagt hat, wird auf das Protokoll der Sitzung vom 03.05.2007 (Bl. 43 d. A.) verwiesen.
Zum 01.09.2006 begründete die Beklagte eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband des Verkehrsgewerbes Westfalen-Lippe. Mit Schreiben vom 04.10.2006 teilte sie dem Kläger folgendes mit:
„Sehr geehrter Herr K1,
wie Ihnen bekannt ist, ist die E1 GmbH mit Wirkung zum 1.September 2006 in den für die Logistik zuständigen Arbeitgeberverband eingetreten und ist dementsprechend an die Tarifverträge der Logistikwirtschaft NRW gebunden. Dies bedeutet, dass Ihr Arbeitsverhältnis ab sofort der Tarifgruppe 3 unterliegt. Ihr neues tarifliches Entgelt beträgt bei einer Arbeitszeit von 39 Stunden dementsprechend 1.718,73 EUR mit Wirkung zum 1.September 2006.
Nach § 10 Abs. II Nr. 1 des Manteltarifvertrages rechnen wir betriebliche Leistungen auf die tarifliche Sonderzahlung an.
Die Nachzahlung für den Monat September 2006 erfolgt mit der Lohn-/Gehaltsabrechnung für Monat Oktober 2006.”
Für das Jahr 2006 zahlte die Beklagte weder Weihnachtsgeld gem. Ziff. 9 des Arbeitsvertrages vom 12.08.1998 noch die Jahressonderzahlung gem. § 10 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2005 (im Folgenden MTV). Mit vorliegender Klage, die am 19.12.2006 beim Arbeitsgericht Bochum einging, nimmt der Kläger die Beklagte deswegen auf Zahlung von 449,12 EUR brutto in Anspruch. Wegen der Berechnung des vom Kläger geltend gemachten Betrages wird auf Bl. 1 f. d. A. verwiesen.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe ausweislich Ziff. 9 des schriftlichen Arbeitsvertrages Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 20 % des zuletzt erzielten Monatsbruttolohns, das mit der Novemberabrechnung fällig sei. Seit dem Beitritt der Beklagten zum Arbeitgeberverband für das Verkehrsgewerbe Westfalen-Lippe e.V. seien die Regelungen des genannten MTV anwendbar. Danach betrage die Jahressonderzahlung bei mehr als 6-jähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit 40 % des zuletzt gezahlten tariflichen Monatsverdienstes. Ausgehe...