Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkung der Zustellung. Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
– Zur Frage, wann eine Kündigungsschutzklage noch „demnächst” zugestellt wird.
– Zu den Maßstäben an die Erfolgaussicht einer Klage i. S. d. § 114 ZPO.
Normenkette
ZPO §§ 114, 167
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Beschluss vom 07.02.2008; Aktenzeichen 9 Ca 2983/07) |
Tenor
Der Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 07.02.2008 wird – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen – teilweise, nämlich insoweit aufgehoben, als Prozesskostenhilfe für die Anträge aus der Klageschrift abgelehnt worden ist. Das Prozesskostenhilfeverfahren wird insoweit an das Arbeitsgericht Aachen zur erneuten Entscheidung mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass Erfolgsaussicht zu bejahen ist.
Tatbestand
I. Was grundsätzlich die an den Begriff der Erfolgsaussicht anzulegenden Maßstäbe anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtschutzgleichheit zu beachten, so dass die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden dürfen (BVerfG 14.10.2003 – 1 BVR 901/03 NVwZ 2004, 334). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, in dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon selbst gewiss sein muss (BVerfG 24.07.2002 – NJW 2003, 576). Dementsprechend verlangt § 114 ZPO auch nicht Erfolgsgewissheit, sondern lediglich hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es reicht aus, wenn bei einer allein erlaubten vorläufigen Prüfung der Parteivortrag als vertretbar bezeichnet werden kann, wobei die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nicht überspannt werden dürfen. Es genügt, wenn der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, keineswegs ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (LAG Düsseldorf 29.11.1999 – 15 Ta 553/99 – LAGE § 114 ZPO Nr. 36).
Entscheidungsgründe
II. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung auf eine Interessenabwägung gestützt. Interessenabwägungen aber sind typischerweise Entscheidungen, die dem Gericht der Hauptsache, damit also der Kammer vorbehalten sein müssen. Prozesskostenhilfe allein wegen einer Entscheidung über die Abwägung beiderseitiger Interessen zu versagen, muss ein Ausnahmefall bleiben. Schon aus diesem Grunde war im vorliegenden Fall Prozesskostenhilfe zu gewähren.
III. Alles sprach im Übrigen dafür, die zu § 167 ZPO anzustellende Interessenabwägung zu Gunsten der Klägerin ausgehen zu lassen. Dass überhaupt im Rahmen des Merkmals „demnächst” eine Interessenabwägung anzustellen ist, ist in dem für den Empfänger grundsätzlich gebotenen Vertrauensschutz begründet. Tatsächlich ist die Klageschrift am 28.08.2007 den Beklagten zugestellt worden. Die Kündigung ist der Klägerin am 02.08.2007 zugegangen. Die Klagefrist lief am 23.08.2007 ab. Das bedeutet, dass den Beklagten die Klageschrift fünf Kalendertage nach Ablauf der Klagefrist zugestellt worden ist. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass der 23.08. ein Donnerstag war und der 28. ein Dienstag, mithin ein Wochenende dazwischen lag. Aus der gesetzlichen Klagefrist ergibt sich, dass ein Vertrauen darauf, dass Kündigungsschutzklage nicht erhoben werde, frühestens mit Ablauf der Klagefrist entstehen kann. Zu berücksichtigen ist weiter, dass aufgrund der notwendigen Erledigungen des Gerichts und der Postlaufzeiten nicht damit gerechnet werden kann, dass eine Klage vor Ablauf einer Woche zugestellt wird.
Ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten konnte damit zum Zeitpunkt der Zustellung noch gar nicht entstanden sein. Allein schon dieses musste zu Bejahung des Merkmals „demnächst” im vorliegenden Fall führen.
Davon abgesehen aber ist ein nennenswertes Verschulden der Klägerseite ebenfalls nicht feststellbar. Die Adresse in der Klageschrift wurde offensichtlich dem der Klageschrift beigefügten Arbeitsvertrag entnommen, in dem eben die Adresse „T” angegeben wurde. Das Kündigungsschreiben wurde von einem Anwalt unterzeichnet. Eine Adresse der Beklagten ist im Kündigungsschreiben nicht angegeben.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben auch auf die gerichtliche Mitteilung vom 17.08.2007 unverzüglich durch Nennung der richtigen Adresse reagiert. Noch innerhalb der Klagefrist, nämlich am 23.08., ging das Schreiben vom 21.08. mit der richtigen Adresse ein. Damit konnte die Interessenabwägung nur zu Gunsten der Klägerin ausgehen.
IV. Hinsichtlich des zurückgenommenen Zahlungsantrages wird die Beschwerde nicht begründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes ist insoweit ...