Entscheidungsstichwort (Thema)
Einsetzung einer Einigungsstelle
Leitsatz (amtlich)
Die Einigungsstelle ist entgegen in der Literatur vertretenen Ansicht (z.b. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller – Glöge, ArbGG, 5. Auflage § 98 Rn. 12) nicht ohne weiteres offensichtlich unzuständig, wenn von einem Mitbestimmungsrecht bereits durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht wurde und diese weder gekündigt noch für unwirksam erklärt ist.
Normenkette
BetrVG §§ 76, 87; ArbGG § 98
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Beschluss vom 15.06.2005; Aktenzeichen 5 BV 52/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.06.2005 – 5 BV 52/05 – wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn dahingehend ergänzt, dass die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festgesetzt wird.
Gründe
(Von der Darstellung des Sachverhaltes wird entsprechend § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.)
Die zulässig, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Erfolg hatte dagegen die Anschlussbeschwerde.
A. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt, weil die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig ist.
Offensichtliche Unzuständigkeit – das hat das Arbeitsgericht ebenfalls zu Recht ausgeführt – ist nur dann gegeben, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichem Gesichtspunkt in Betracht kommt.
Dass es sich bei dem Regelungsgegenstand grundsätzlich um einen solchen handelt, für die ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG besteht, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Streit besteht allein über die Frage, ob das Mitbestimmungsrecht wegen der bestehenden Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen ist und ob deshalb offensichtlich Unzuständigkeit gegeben ist, weil der Betriebsrat sich nicht ausreichend informiert sieht. Aus beiden Gründen ist offensichtliche Unzuständigkeit nicht gegeben:
I. Der Antragsgegner beruft sich auf die auch im angefochtenen Beschluss wiedergegebene Auffassung von Müller-Glöge (Germelmann/Matthes/Prütting, § 98 ArbGG Rn. 12), der ausführt, offensichtlich sei dann kein Mitbestimmungsrecht gegeben, wenn von einem Mitbestimmungsrecht bereits durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht worden sei, solange diese nicht gekündigt und für unwirksam erklärt sei. Diese Auffassung wird nicht weiter begründet. Es wird als Beleg lediglich die Entscheidung des LAG Düsseldorf (Kammer Köln) vom 09.09.1977 EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 16 angegeben.
1. Diese Entscheidung beruht indes auf einer Begründung, die die Kammer nicht teilt und die auch nicht der Rechtsprechung des BAG entspricht. Das LAG hat seinerzeit seine Entscheidung so begründet: Solange ein einmal zustande gekommener Sozialplan in Kraft sei, könne der Betriebsrat nicht über eine neue Einigungsstelle einen neuen Sozialplan erreichen. Das habe nämlich die kaum zu vertretende Folge, dass zwei Sozialpläne vorhanden seien, von denen zunächst niemand wisse, welcher rechtswirksam sei. Denn die neue Einigungsstelle könne zwar einen Sozialplan erstellen, aber nicht darüber entscheiden, ob der alte Sozialplan rechtswirksam sei und auch geblieben sei. Diese Entscheidung obliege allein den Arbeitsgerichten.
Dieser Auffassung steht entgegen, dass eine Betriebsvereinbarung – auch ein Sozialplan – eine Norm ist und für Normen der Grundsatz gilt, dass die jüngere Norm die ältere ablöst. So entspricht es auch ganz herrschender Auffassung, dass eine Betriebsvereinbarung mit dem Inkrafttreten einer neuen Betriebsvereinbarung über den selben Gegenstand endet (BAG, 10.08.1994, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting BetrVG § 77 Rn. 143; Richardi BetrVG § 77 Rn. 180). Gleiches gilt, wenn eine neue Betriebsvereinbarung nur teilweise die Regelungen der älteren ersetzt. Dann treten diese älteren insoweit außer Kraft (Fitting a. a. O. m. N. zur Rechtsprechung des BAG).
Eine solche Ablösung kann unter Umständen auch über die Einigungsstelle erzwungen werden. So hat das BAG z. B. gerade auch im Falle eines Sozialplanes, bei dem sich ein Betriebspartner auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berief, ausdrücklich ausgeführt, dass dann, wenn der andere Betriebspartner eine Anpassung verweigere und es nicht zu einem Einvernehmen über eine solche komme, die Einigungsstelle angerufen werden könne, die verbindlich entscheide (BAG, 10.08.1994 – 10 ABR 61/93 –). Gleiches hat das BAG im Falle der verschlechternden Ablösung einer Pensionsordnung entschieden und der Einigungsstelle ausdrücklich auch die Zuständigkeit dann zugewiesen, wenn die Betriebsparteien über den Wegfall der Geschäftsgrundlage streiten (BAG, 23.09.1997 – 3 ABR 85/96 –).
Es ist deshalb bereits von Ausgangpunkt her die kategorische Auffassung nicht richtig, dass eine...