Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit des Beschlusses einer tariflichen Einigungsstelle zum Leistungsentgelt und zum Zeitentgelt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Betriebsparteien sind nicht gehindert, einer betrieblichen Einigungsstelle die Kompetenz einzuräumen, Regelungen ungeachtet ihrer mitbestimmungspflichtigen Grenzen zu treffen.

2. Auch die Klärung einer Tatsachen- oder Rechtsfrage kann der Einigungsstelle in einem freiwilligen Einigungsstellenverfahren gemäß § 76 Abs. 6 BetrVG übertragen werden. Für eine tarifliche Einigungsstelle, bei der es sich der Sache nach um eine tarifliche Schlichtungsstelle im Sinne des § 76 Abs. 8 BetrVG handelt, gilt nichts Anderes, auch wenn sie - wie hier nach § 51 Nr. 1 MTV - auf Regelungsgegenstände der zwingenden betrieblichen Mitbestimmung zugeschnitten ist. Die Verbindlichkeit des Einigungsstellenspruchs hängt dann aber entsprechend § 76 Abs. 6 Satz 2 BetrVG davon ab, ob sich beide Seiten dem Einigungsstellenbeschluss im voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben.

3. Fehlt es daran, besteht für auf die Feststellung der Unwirksamkeit (eines Teils) des Einigungsstellenbeschlusses gerichtete Anträge nicht das notwendige Feststellungsinteresse.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 2; ERA § 5 Nr. 8 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 09.02.2023; Aktenzeichen 7 BV 98/22)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 09.02.2023 - 7 BV 98/22 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag des Betriebsrats bereits unzulässig ist.

II. Die Rechtsbeschwerde wird für beide Beteiligten zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Beschlusses einer tariflichen Einigungsstelle.

Die kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebundene Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Metallindustrie mit ca. 200 Arbeitnehmern und auf die Herstellung von Kupfer- und Kupferlegierungsbändern spezialisiert. Auf die Arbeitsverhältnisse finden der Manteltarifvertrag (MTV) und das Entgeltrahmenabkommen (ERA) der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Anwendung.

Entgeltgrundsätze im Sinne des ERA sind nach § 5 Nr. 1 ERA das Leistungsentgelt (Akkord, Prämie, Zielvereinbarung I) und das Zeitentgelt (mit Leistungszulage gemäß § 10 ERA, Zielvereinbarung II). Der anzuwendende Entgeltgrundsatz und die Entgeltmethode sind zwischen den Betriebsparteien gemäß § 5 Nr. 2 Satz 3 ERA zu vereinbaren. Möglich ist auch eine Kombination von mehreren tariflichen Entgeltgrundsätzen und -methoden.

Die Beteiligten hatten seit Einführung des ERA für den überwiegenden Teil der Arbeitsplätze im Bereich der Produktion (Kostenstellen) Prämienregelungen getroffen, zuletzt mit der Betriebsvereinbarung vom 12.10.2016, die den Arbeitnehmern ein monatliches Prämienentgelt in Höhe von ca. 30 % des tariflichen monatlichen Grundentgelts gewährte. Gemäß Nr. 10.1 der Betriebsvereinbarung war sie mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist kündbar und soll weiter bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung wirken. Mit Schreiben vom 14.04.2021 kündigte die Arbeitgeberin die Betriebsvereinbarung. Sie strebt einen Wechsel von dem Entgeltgrundsatz Leistungsentgelt mit Prämie zu dem Entgeltgrundsatz Zeitentgelt mit Leistungszulage an.

Nach ergebnislosen innerbetrieblichen Verhandlungen riefen die Beteiligten die tarifliche Einigungsstelle mit dem Auftrag an, "festzustellen, welchem Entgeltgrundsatz i.S.v. §§ 5, 6, 7, 8, 9 und 10 des Entgeltrahmenabkommens (...) die als Anlage 1 aufgeführten Tätigkeiten der Betriebsvereinbarung über ein Prämienentgelt vom 12. Oktober 2016 (...) entsprechen. Wenn und soweit für die in der Anlage 1 aufgeführten Tätigkeiten der genannten Betriebsvereinbarung festgestellt wird, dass der Entgeltgrundsatz Leistungsentgelt zutreffend ist, ist über eine sach- und fachgerechte Entwicklung und Ausgestaltung eines Prämienentgelts zu entscheiden."

Gemäß dem Protokoll der ersten Einigungsstellensitzung am 08.04.2022 trafen die Beteiligten eine Absprache für den Fall, dass es im Ergebnis der Überprüfung von Entgeltgrundsatz und -methode zu Wechseln von dem Entgeltgrundsatz Leistungsentgelt mit dem Unterfall der Entgeltmethode Prämienentgelt in den Entgeltgrundsatz Zeitentgelt kommt. Dann soll es für die betroffenen Arbeitnehmer eine Übergangsregelung für die Dauer von 24 Monaten geben. Diese soll einen linearen Abbau- und Abschmelzprozess auf der Grundlage der durchschnittlichen Prämie der letzten zwölf Monate sowie die Anrechnung von Tariferhöhungen auf das Delta zwischen alter und neuer Vergütung im Bereich der Leistung vorsehen.

Die Einigungsstelle führte insgesamt fünf Sitzungen durch. Ein von ihr eingeholtes Sachverständigengutachten kam zu dem Ergebnis, dass 32 der 35 Kostenstellen in Ermangelung der für eine Prämienfähigkeit nach dem Tarifvertrag erforderlichen Nachvollziehbarkeit und Beeinflussbarkeit dem tariflichen Entgeltgrundsatz Zeitentgelt mit Leistungszulage entsprechen.

Am 05.10.22 fasste die Einigungsstell...

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