Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigungsanspruch eines fristlos gekündigten Arbeitnehmers. Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung. Weiterbeschäftigungsanspruch bei offensichtlich rechtswidriger Kündigung. Probleme bei Betriebsratswahl als Kündigungsgrund. Gebot des gesetzlichen Richters im einstweiligen Verfügungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Der Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, dem gegenüber eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde, ist nur dann gegeben, wenn die Kündigung des Arbeitgebers offensichtlich unwirksam ist.
Normenkette
ArbGG § 62 Abs. 2, § 78 S. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § § 567 ff.; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1; BGB § 626; BetrVG § 15 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 103; WO § 5 Abs. 1-2, § 22 Abs. 4; ZPO § 97 Abs. 1; ArbGG § 64 Abs. 7
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 24.03.2020; Aktenzeichen 8 Ga 26/20) |
Tenor
- Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 24.03.2020(8 Ga 26/20) wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Gründe
I. Die Parteien streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes über die Weiterbeschäftigung der Verfügungsklägerin (nachfolgend auch: Antragstellerin) nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.
Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend auch: Antragsgegnerin) betreibt in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG eine Wurst- und Fleischwarenfabrikation und vertreibt Wurstspezialitäten aus Rind-, Lamm- und Geflügelfleisch. Der Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft ist Herr A E E .
Die am 30.07.1964 geborene Antragstellerin ist seit dem 01.01.1993 bei der Antragsgegnerin als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Ausgehend von einem Jahresgehalt im Jahre 2019 iHv. 30.515,83 Euro brutto betrug das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt zuletzt 2.542,99 Euro. Nach den Behauptungen der Verfügungsbeklagten ist die Antragstellerin Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Aufgrund eines Wahlausschreibens vom 08.02.2018, indem aufgrund der Zusammensetzung der Belegschaft ein Sitz für das Minderheitengeschlecht (Frauen) im Betriebsrat angegeben wurde, wurde im Betrieb der Verfügungsbeklagten am 23.03.2018 ein neuer Betriebsrat (7-köpfig) gewählt. Es erfolgte eine Personen- und keine Listenwahl. Die Verfügungsklägerin war damals Vorsitzende des Wahlvorstandes. Es gab noch zwei weitere Mitglieder des Wahlvorstandes, die nach den Behauptungen der Verfügungsbeklagten allerdings der deutschen Sprache kaum mächtig sein sollen. Bzgl. der Stimmverteilung auf die zur Wahl stehenden Arbeitnehmer wird auf Bl. 54-56 d.A. Bezug genommen. Bezogen auf die Anzahl der auf sie entfallenen Stimmen hatte die Verfügungsklägerin den 10. Rang. Nach Auffassung der Verfügungsbeklagten war die Verfügungsklägerin somit nur "3. Nachrückerin".
Der Wahlvorstand unter Leitung der Verfügungsklägerin erstellte am 26.03.2018 eine Wahlniederschrift in deutscher Sprache. Nach den Behauptungen der Verfügungsbeklagten sei die Wahlniederschrift unter Verstoß gegen § 16 WO nicht in öffentlicher Sitzung nach § 13 WO erstellt worden und sie würde auch nicht die vollständige Auszählung der Höchstzahlen enthalten. In der Wahlniederschrift wurde die Verfügungsklägerin als gewähltes Betriebsratsmitglied angegeben. Der Wahlvorstand ging davon aus, dass auf das Geschlecht der Minderheit ein Sitz im Betriebsrat entfiel. Unter Anwendung des Höchstzählverfahrens nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 WO iVm. § 15 Abs. 2 BetrVG entfiel jedoch auf das Minderheitengeschlecht (Frauen) kein Sitz im Betriebsrat, da selbst bei 115 geteilt durch 7 (Sitze) der Quotient 16,43 beträgt und damit höher ist als die Anzahl der Arbeitnehmerinnen bei der Verfügungsbeklagten.
In der konstituierenden Sitzung des Betriebsrates am 27.03.2018 wurde Herr M B zum Vorsitzenden des Betriebsrates und die Verfügungsklägerin zur stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Insofern wird Bezug genommen auf den "Bericht des Wahlvorstandes" vom 28.03.2018 auf Bl. 52 d.A.
Die Betriebsratswahl wurde nicht binnen der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten.
Am 27.11.2018 wurde die Verfügungsklägerin zur Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt.
Zwischen den Parteien ist umstritten, ob die Zusammenarbeit zwischen der Verfügungsbeklagten und dem gebildeten Betriebsrat dem gesetzlichen Leitbild der vertrauensvollen Zusammenarbeit iSv. § 2 Abs. 1 BetrVG entspricht.
Mit Schreiben vom 13.03.2020, der Verfügungsklägerin am selben Tag zugegangen, gab die Verfügungsbeklagte ihr Gelegenheit, sich bis zum 16.03.2020 um 12:00 Uhr zu dem Vorwurf der Manipulation des Wahlergebnisses der Betriebsratswahl vom 23.03.2018 und einer deswegen beabsichtigten fristlosen Kündigung zu äußern. Bzgl. des Anhörungsschreibens wird Bezug genommen auf Bl. 8, 28 d.A. Die Verfügungsklägerin äußerte sich weder binnen der Frist noch bat sie um eine Fristverlängerung.
Am ...