Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung wegen falscher Ausführungen zu Betriebsratswahl. Fristlose Kündigung wegen Prozessbetrug. Fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Kündigung wegen des Vorwurfs der Täuschung über die Auswirkungen einer Betriebsratswahl sowie Prozessbetrugs ist unwirksam.

2. Die Kündigung ist zudem mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates unwirksam, da das Anhörungsschreiben keine konkrete Pflichtverletzung benennt.

 

Normenkette

BGB § 626; BetrVG § 37 Abs. 2, § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 04.09.2020; Aktenzeichen 19 Ca 1827/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 04.09.2020 - 19 Ca 1827/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufung nur noch um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 15.05.2020.

Die am 1964 geborene Klägerin ist gelernte Arzthelferin und wird seit dem 01.11.1993 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.543,00 Euro beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der fleischverarbeitenden Industrie und beschäftigt in Köln derzeit ca. 183 Arbeitnehmer. Zu ca. 90 % haben die Beschäftigten einen Migrationshintergrund und verfügen teilweise nur über geringfügige Deutschkenntnisse.

Im März 2018 fanden im Betrieb der Beklagten in K Betriebsratswahlen statt. Damals wurden im Betrieb 165 wahlberechtigte Arbeitnehmer, davon 155 Männer und zehn Frauen beschäftigt. Die Klägerin übernahm das Amt der Wahlvorstandsvorsitzenden. In den Wahlunterlagen der Klägerin befand sich auch ein Wahlleitfaden der Gewerkschaft NGG, in dem das Höchstzahlverfahren nach § 5 der Wahlordnung zum BetrVG mit Rechenbeispielen erläutert wurde. Der Wahlvorstand verfasste ein Wahlausschreiben in deutscher und türkischer Sprache. Darin wurde beschrieben, dass dem Minderheitengeschlecht der Frauen im Betriebsrat mindestens ein Sitz zustehe.

Die Klägerin kandidierte erstmalig seit ihrem Betriebseintritt selbst für die Betriebsratswahl. Damit kandidierte auch erstmalig eine Frau für den Betriebsrat bei der Beklagten.

Die Betriebsratswahl fand am 23.03.2018 statt. Hinsichtlich der Verteilung der Stimmen wird auf die vom Wahlvorstand am 26.03.2018 erstellte Wahlniederschrift Bezug genommen. Die Klägerin erzielte 37 Stimmen und belegte damit den zehnten Rang. Unter Ziffer 4 der Wahlniederschrift wird der Name der Klägerin bei den in den Betriebsrat gewählten Personen aufgeführt. Unter Ziffer 5 heißt es:

"Auf das Geschlecht in der Minderheit entfallen 1 Betriebsratssitze, so dass damit das Geschlecht in der Minderheit entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten ist.

Auf das Geschlecht in der Minderheit entfallen 1 Betriebsratssitze, so dass damit das Geschlecht in der Minderheit nicht entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten ist.

Begründung:Keine"

Noch im Jahr 2018 wurde die Klägerin zur Vorsitzenden des Betriebsrats gewählt.

In der Folge entwickelte sich ein Dissens zwischen den Parteien über den erforderlichen Umfang der Betriebsratsarbeit sowie über Fragen von Mehrarbeit.

Am 13.03.2020 fand ein Gespräch zwischen dem Betriebsleiter der Beklagten, Herr V , den Personalleiter Herr M und dem im Februar 2020 durch die Beklagte eingestellten " Kommunikationsmanager" und Juristen Herr E T sowie der Klägerin statt. In diesem Gespräch wurde der Klägerin vorgeworfen, sich durch eine mutmaßliche Täuschung über die Auswirkungen des Wahlergebnisses einen Betriebsratssitz erschlichen zu haben. Darüber hinaus wurde der Klägerin ein unter dem 13.03.2020 verfasstes Schreiben übergeben. Darin heißt es:

"Sie haben als Wahlvorstand unter dem Datum des 08.02.2018 ein Wahlausschreiben erstellt, in dem rechtswidrig dargestellt wurde, dass im Betriebsrat dem in der Minderheit vertretenen Geschlecht der Frauen ein Mindestsitz zustehe.

[...]

Sie haben als Wahlvorstand sowohl die Belegschaft wie auch die Arbeitgeberseite über die Zusammensetzung des Betriebsrates getäuscht.

Sie haben dies ausgenutzt, um selbst das Amt eines Betriebsrates zu bekleiden, welches Ihnen nach dem Wahlergebnis nicht zukam.

Sie haben auf diese Weise im umfänglichen Maße Arbeitsbefreiung erschlichen, die ihnen nicht zukam.

Sie haben zudem dazu beigetragen, dass zahlreiche Sitzungen des Betriebsrates in fehlerhafter Besetzung erfolgten und die dort gefassten Beschlüsse nicht rechtmäßig gefasst wurden.

Sie haben verhindert, dass das eigentlich gewählte Betriebsratsmitglied sein Amt ausüben konnte.

Insbesondere in den über viele Monate wiederholten erschlichenen Arbeitsfreistellungen und in deren Umfang liegen Verstöße gegen die arbeitsvertragliche Pflicht zur Arbeitsleistung, welche es unzumutbar machen, das Dienstverhältnis mit Ihnen fortzusetzen.

Wir fordern Sie auf, sich hierzu bis Montag dem 16.03.2020 um 12:00 Uhr zu äußern."

Unter dem 16.03.2020 hörte die Beklagte den Betriebsr...

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