Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmereigenschaft
Leitsatz (amtlich)
Ein unter Wiederholung des Gesetzeswortlauts formulierter schriftlicher „Handelsvertretervertrag” in Verbindung mit einem schriftlichen „Mietvertrag” für die zeitlich festgelegte Mindestnutzungsdauer von Schreibtisch, Stuhl Telefon kann nach dem wirklichen Geschäftsinhalt (BAG) ein Arbeitsvertrag sein.
Normenkette
ArbGG § 48; GVG § 179; BGB § 611; HGB § 84
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Beschluss vom 13.06.1995; Aktenzeichen 4 Ca 1213/95) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Bonn vom 13.06.1995 – 4 Ca 1213/95 – aufgehoben.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Beklagte.
Beschwerdewert: 18.095,– DM.
Tatbestand
I. Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klageschrift vom 24.04.1995 einen Lohnzahlungsanspruch mit der Begründung erhoben, die Beklagte sei während der sechs Monate dauernden Tätigkeit der Klägerin verpflichtet gewesen, eine Arbeitsvergütung von monatlich 4.000,– DM zu zahlen statt der tatsächlich geleisteten Zahlungen von insgesamt 5.904,31 DM. Die Klägerin nahm am 25.07.1994 ihre Tätigkeit für die Beklagte auf, die mit einem Zeitungsinserat im Juni 1994 eine Akquisitionsmitarbeiterin für „Telefon-Marketing” gesucht und mit dem Zusatz „Wir sind ein Vertriebsunternehmen im Bankaußendienst. Sie erhalten professionelle Einarbeitung.” in Aussicht gestellt hatte, mit einer Halbtagstätigkeit könne man nicht weniger als 4.000,– DM pro Monat verdienen. Nach einer entsprechenden innerbetrieblichen „Ausbildung” war die Klägerin in den Geschäftsräumen der Beklagten mit Tätigkeiten im Rahmen der telefonischen Akquisition von Kunden für die von der Beklagten vertriebenen Geldanlagemöglichkeiten beschäftigt. Am 09.11.1994 schlossen die Parteien einen „Handelsvertretervertrag” und einen „Mietvertrag über einen Büroarbeitsplatz”.
Das Arbeitsgericht Bonn hat sich mit dem Beschluß vom 13.06.1995, der Klägerin zugestellt am 03.07.1995, für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Bonn verwiesen; dagegen wendet sich die am 17.07.1995 bei dem Arbeitsgericht Bonn eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II. Die an sich statthafte und zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet.
Die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts ist nach Ergebnis und Begründung zu korrigieren, weil sie die für die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses geltenden Rechtsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zwar zutreffend zitiert, aber nur lückenhaft auf den vorliegenden unstreitigen Sachverhalt angewandt und wesentlichen Tatsachenstoff unberücksichtigt gelassen hat.
Abgesehen von Zeiträumen, für die die Beklagte der Klägerin eine „Ausbildungsvergütung” zuerkannt hat (insgesamt 43 Tage), hatte die Klägerin allein die ständige Aufgabe, nach verbindlichen Kundenkarteien, Adressenmaterial, Gesprächsvorlagen, Einwandkatalogen, Organisationsmustern und Formularen Telefongespräche (Beratungstermine) zu vermitteln. An die genannten Richtlinien und Unterlagen, „im Handelsvertretervertrag” als „Hilfsmittel” bezeichnet, war die Klägerin unter Androhung von Vertragsstrafe und fristloser Kündigung gebunden. Ihre Tätigkeit im Rahmen dieses „Telefon-Marketing” beschränkte sich darauf, daß sie ein Telefonat mit einem der innerbetrieblichen „Berater” vermittelte. Dies geschah an jedem Arbeitstag vormittags zwischen 8.30 Uhr und 14.00 Uhr regelmäßig vier Stunden lang an dem „gemieteten” Arbeitsplatz in den Büroräumen der Beklagten.
Die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts verneint das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Hinweis auf §I Nr. 1 des „Handelsvertretervertrages” vom 09.11.1994. Dort heißt es:
„Der Handelsvertreter ist selbständiger Handelsvertreter im Sinne des § 84 HGB; er wird als selbständiger Werbekaufmann für Büro … tätig …”
Nach den genannten unstreitigen Gegebenheiten handelt es sich eindeutig nicht um die Tätigkeit eines Handelsvertreters entsprechend der Begriffsbestimmung in § 84 HGB. Danach ist Handelsvertreter, „wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln … Selbständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann”. Während nach dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung ein Handelsvertreter damit betraut ist, Geschäfte zu vermitteln, vermittelte die Klägerin lediglich tatsächliche Telefonverbindungen, und sie erbrachte damit nur eine untergeordnete Dienstleistung für die von der Beklagten beabsichtigten und getätigten Geschäfte. Unrichtig ist auch die Vertragsbestimmung, daß es sich um Tätigkeiten eines selbständigen Werbekaufmannes gehandelt hätte. Die seitens der Klägerin unstreitig ausgeübten Telefondienste rechtfertigen ersichtlich nicht die Bewertung als eine kaufmännische Tätigkeit. Da es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts letztlich nicht auf einen Vertragswort...