Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert. unbezifferte Leistungsklage. Entschädigungsanspruch. Schmerzensgeld. unberechtigte Kündigungsvorwürfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein unbezifferter Leistungsantrag gestellt, so ist der Streitwert nach dem Betrag zu bestimmen, den das Gericht bei Unterstellung des klägerischen Tatsachenvorbringens für angemessen hält.

2. Fordert der Kläger allerdings einen Mindest- oder Höchstbetrag, dann bildet diese Wertangabe die untere bzw. obere Bemessungsgrundlage. Dies ist nicht der Fall, wenn mit der Wertangabe nur Ausführungen zur Zulässigkeit eines ggf. einzulegenden Rechtsmittels gemacht werden sollen.

3. Der unberechtigte Vorwurf im Kündigungsschutzprozess, am Arbeitsplatz aus dem Internet pornografische Dateien herunter geladen zu haben, rechtfertigt weder einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts noch einen Schmerzensgeldanspruch wegen Körperverletzung, wenn sich der Arbeitnehmer wegen der Vorwürfe in eine depressive Verstimmung mit Bauchschmerzen und gelegentlichem Herzrasen hineinsteigert.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 24.09.2005; Aktenzeichen 9 Ca 3567/05)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 24. September 2005 – 9 Ca 3567/05 – abgeändert:

Der Streitwert wird für das Verfahren bis auf EUR 300,00 festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger hat von der Beklagten verlangt, ihm ein nicht beziffertes Schmerzensgeld zu zahlen, weil sie im Rechtsstreit über die von ihr erklärte fristlose Kündigung ihm zu Unrecht vorgeworfen habe, er habe an seinem Arbeitsplatz pornografische Dateien herunter geladen. Dadurch habe sie sein Persönlichkeitsrecht schwerwiegend verletzt. Zudem habe er daraufhin an Bauchschmerzen, Sodbrennen und Durchfall, gelegentlichem Herzrasen und einer ausgeprägten depressiven Verstimmung gelitten, Medikamente einnehmen müssen und sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. In der Klageschrift hat er angegeben, als Beschwer für die Zulässigkeit der Berufung halte er ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 5.000,00 für angemessen.

Nachdem der Rechtsstreit durch einen im Kündigungsschutzprozess abgeschlossenen Vergleich miterledigt worden war, hat das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert auf EUR 5.000,00 festgesetzt.

Dagegen hat die Beklagte fristgerecht Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass der Streitwert bei objektiver Würdigung des Vorbringens auf Null festzusetzen sei, da es die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes nicht rechtfertige.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat Erfolg.

1. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG). Die Beschwerde ist auch statthaft (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG), da der Beschwerdegegenstand EUR 200,00 übersteigt.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Streitwert ist auf nicht mehr als EUR 300,00 festzusetzen.

a. Wird ein unbezifferter Leistungsantrag gestellt, so ist der Streitwert nach dem Betrag zu bestimmen, den das Gericht bei Unterstellung des klägerischen Tatsachenvorbringens für angemessen hält.

Es werden zu der Frage, wie hoch der Streitwert bei einem unbezifferten Leistungsantrag ist, im Wesentlichen drei Ansichten vertreten: Nach der ersten Ansicht richtet sich der Streitwert ausschließlich nach den Vorstellungen oder Erwartungen des Klägers, wobei der von ihm geäußerte Betrag die Untergrenze bildet. Nach der zweiten Ansicht richtet er sich nach dem tatsächlich zuerkannten Betrag. Nach der dritten Ansicht, der sich das Gericht anschließt, richtet er sich nach dem Betrag, den das Gericht bei Unterstellung des klägerischen Tatsachenvorbringens für angemessen hält. Sie berücksichtigt hinreichend auch die Interessen des Gegners, d. h. dessen Kostenrisiko, und die Besonderheiten der unbezifferten Leistungsklage. Sie führt auch zu interessengerechten Ergebnissen, wenn der in der ersten Instanz zuerkannte Betrag in der Berufung herabgesetzt wird (vgl. dazu: Schneider-Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rdn. 4366 ff. m.w.N.; Anders/Gehle/Kunze, Streitwertlexikon, 4. Aufl., S. 298 f.).

Fordert der Kläger allerdings einen Mindest- oder Höchstbetrag, dann bildet diese Wertangabe die untere bzw. obere Bemessungsgrundlage. Dies ist nicht der Fall, wenn der Kläger – wie im vorliegenden Verfahren – lediglich mit der Wertangabe Ausführungen zur Zulässigkeit machen will, ohne eine Begrenzung nach unten oder oben tatsächlich zu wollen (vgl. BGH NJW 1992, S. 311, 312).

b. Ausgehend von dem klägerischen Tatsachenvorbringen ist weder ein Entschädigungs- noch ein Schmerzensgeldanspruch gegeben.

aa. Zunächst ist festzustellen, dass sich durch § 253 Abs. 2 BGB n. F. die Rechtslage über einen Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht verändert hat.

Nach dieser Rechtslage löst nicht jede Verletzung des Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf immaterielle Geldentschädig...

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