Entscheidungsstichwort (Thema)

Einsetzung einer Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans aus Anlass der Betriebsstilllegung

 

Leitsatz (amtlich)

Zuständigkeit der Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplans bei durchgeführter Betriebsänderung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Einsetzung einer Einigungsstelle für die Aufstellung eines Sozialplans steht nicht entgegen, dass die Betriebsänderung (hier: Stilllegung des Betriebes) nach Kündigung aller Arbeitsverhältnisse bereits durchgeführt worden ist. Denn bereits aus der Gestaltung des Mitbestimmungsverfahrens ergibt sich, dass ein Sozialplan auch dann noch aufgestellt werden kann, wenn der Unternehmer die Betriebsänderung berechtigterweise durchgeführt hat, weil ein Interessenausgleich bereits zustande gekommen oder der Einigungsversuch über den Interessenausgleich vor der Einigungsstelle gescheitert war.

2. Das gilt aber auch dann, wenn der Betriebsrat überhaupt nicht beteiligt war.

 

Normenkette

BetrVG §§ 111, 112 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 29.05.2020; Aktenzeichen 8 BV 74/20)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 29.05.2020 - 8 BV 74/20 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob aus Anlass der von der Arbeitgeberin durchgeführten Betriebsstilllegung eine Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans einzusetzen ist.

Die Arbeitgeberin unterstützt Industrieunternehmen, Energieversorger und Netzbetreiber bei der Digitalisierung und dem Management ihrer Energiesysteme. Zwischen den Beteiligten ist die Zahl der regelmäßig bei der Arbeitgeberin beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer streitig.

Mit 18 Schreiben vom 17.04.2020 hörte die Arbeitgeberin den im September 2019 gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung aller zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Arbeitsverhältnisse an. Hierzu trug sie in der Betriebsratsanhörung vor, sie habe am 16.04.2020 wegen ausbleibender Projekte und Erträge die unternehmerische Entscheidung zur Betriebsstillegung getroffen und wolle die Gesellschaft zunächst ab dem 30.04.2020 "ohne Personal fortführen" und später abwickeln.

Mit Schreiben vom 24.04.2020 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin vergeblich zur Aufnahme von Sozialplanverhandlungen auf.

Mit Beschluss vom 30.04.2020 erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen zum Abschluss eines Sozialplans für gescheitert und beschloss die Anrufung der Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Abschluss eines Sozialplans anlässlich der arbeitgeberseitig geplanten Betriebsstillegung".

Mit einer nicht unterzeichneten Antragsschrift, die am 18.05.2020 bei dem Arbeitsgericht Köln eingegangen ist, der aber mit der Unterschrift seines Verfahrensbevollmächtigten versehene beglaubigte Abschriften beigefügt waren, hat sich der Betriebsrat darauf berufen, dass die Arbeitgeberin bei der vorzunehmenden Gesamtschau in der Regel über 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftige. Er hat darauf verwiesen, dass zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl 2019 insgesamt 27 Arbeitnehmer in der Wählerliste aufgeführt gewesen seien.

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, nicht zum Abschluss eines Sozialplans verpflichtet zu sein, da sie zum Zeitpunkt der Stilllegungsentscheidung auf Grund vorangegangener Eigenkündigungen und ihrer Entscheidung, die freigewordenen Arbeitsplätze nicht neu zu besetzen, weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigt habe.

Das Arbeitsgericht Köln hat mit einem am 29.05.2020 verkündeten Beschluss Herrn Richter am Arbeitsgericht Dr. D F , Arbeitsgericht B , zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss eines Sozialplans anlässlich der arbeitgeberseitigen Betriebsstillegung" bestellt, die Anzahl der von jeder Seite für die Einigungsstelle zu benennenden Beisitzer auf zwei festgesetzt und dies im Wesentlichen wie folgt begründet.

Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig, weil die Arbeitgeberin unter 20 Mitarbeiter beschäftigte. Denn bei der Beurteilung der Zahl der "in der Regel" beschäftigten Arbeitnehmer sei eine Gesamtschau vorzunehmen. Danach sei für den Betrieb der Arbeitgeberin eine regelmäßige Personalstärke von mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern kennzeichnend. Demgemäß sei ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach den §§ 112, 112a BetrVG zum Abschluss eines Sozialplans gegeben, auch wenn die Betriebsänderung bereits durchgeführt worden sei. Ansprüche des Arbeitnehmers auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ließen die Verpflichtung zum Abschluss des Sozialplans nicht entfallen. Der Einigungsstellenvorsitzende sei als Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit sowie als erfahrener Einigungsstellenvorsitzender für die Übernahme des Vorsitzes geeignet. Die Zahl der Beisitzer von zwei je Seite entspreche der Regelbesetzung.

Der Beschluss ist der Arbeitgeberin am 30.05.2020 zugestellt worden. Ihre dagegen gerichtete Beschwerde ist nebst Begründung am 12.06.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.

Sie ...

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