Entscheidungsstichwort (Thema)
Dreistufiges Prüfungsschema bei der krankheitsbedingten Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zu einer fehlenden negativen Zukunftsprognose im Falle häufiger Kurzerkrankungen
Leitsatz (redaktionell)
Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung hat in drei Stufen zu erfolgen. Zunächst bedarf es einer negativen Prognose hinsichtlich des weiteren Gesundheitszustands des zu kündigenden Arbeitnehmers. Im Anschluss daran ist zu prüfen, ob die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Abschließend wird nach Maßgabe einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung geprüft, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinnehmbaren betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, 1; ZPO § 138 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 24.06.2021; Aktenzeichen 10 Ca 7069/20) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.06.2021 - 10 Ca 7069/20 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Die am 1973 geborene, alleinerziehende Mutter von zwei erwachsenen Kindern, ist seit dem 28.09.1991 bei der Beklagten als Verladerin im Paketzentrum E mit einem Arbeitszeitumfang von 27 Stunden pro Woche beschäftigt. Ihre durchschnittliche monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt nach eigenen Angaben 3.250,00 Euro.
Jedenfalls seit dem Jahr 2014 wies die Klägerin zahlreiche krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Im Jahr 2014 fehlte die Klägerin an 47 Arbeitstagen, im Jahr 2015 an 34 Arbeitstagen, im Jahr 2016 an 46 Arbeitstagen, im Jahr 2017 an 79 Arbeitstagen, im Jahr 2018 an 60 Arbeitstagen, im Jahr 2019 an 23 Arbeitstagen sowie im Jahr 2020 an 45 Arbeitstagen. Währende der gesamten Fehlzeiten der Jahre 2014 bis 2019 leistete die Beklagte an die Klägerin Entgeltfortzahlung. Im Jahr 2020 erhielt die Klägerin für 40 der 45 insgesamt angefallenen Krankheitstage Entgeltfortzahlung.
In einer am 18.08.2020 durchgeführten p Eignungsuntersuchung wurde festgestellt, dass ärztlicherseits keine gesundheitlichen Bedenken bestehen und die Klägerin vollständig einsatzfähig ist.
Mit Schreiben der Beklagten vom 15.07.2020 wurde die Klägerin zu einem BEM-Gespräch eingeladen. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 39, 40 der Akte Bezug genommen. Nachdem die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 28.08.2020 an die Einladung erinnert hatte, stimmte die Klägerin am 10.09.2020 der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zu. Am 15.09.2020 fand ein Gespräch statt. Ausweislich des von diesem Termin erstellten Protokolls erklärte die Klägerin, dass sie die geschuldete Arbeitsleistung als Verlader darin verrichten könne, es gebe keine arbeitsplatzbezogenen Ursachen für ihre Erkrankungen und der Arbeitgeber könne nichts veranlassen, um zukünftige krankheitsbedingte Ausfälle zu verhindern.
Mit Schreiben vom 01.10.2020 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung der Klägerin. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf das von der Beklagten als Anl. B1 vorgelegte Schreiben vom 1.10.2020 Bezug genommen. Der Betriebsrat erklärte mit Schreiben vom 12.10.2020, der beabsichtigten Kündigung der Klägerin nicht zuzustimmen, da für ihn nicht erkennbar sei, dass eine dauerhaft negative Krankheitsprognose vorliege.
Mit Schreiben vom 19.10.2020 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.05.2021. Gegen diese Kündigung hat sich die Klägerin mit ihrer am 29.10.2020 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage gewandt. Sie hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, insbesondere sei eine negative Zukunftsprognose nicht gegeben. In dem maßgeblichen Referenzzeitraum von drei Jahren fehle es jedenfalls im Kalenderjahr 2019, an denen sie lediglich an 23 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt habe, an den für die negative Zukunftsprognose erforderlichen Krankheitszeiten. Im Jahr 2018 habe sie im Frühjahr zehn Tage aufgrund eines grippalen Infektes bzw. einer Bronchitis gefehlt sowie 17 Tage aufgrund von Schulter- und Rückenbeschwerden. 28 weitere krankheitsbedingte Fehltage seien auf einen Fersensport zurückzuführen, der operativ behandelt worden und somit ausgeheilt sei. Im Jahr 2020 habe sie im Februar an zwölf Tagen wegen eines grippalen Infektes sowie aufgrund eines Schulterarmsyndroms gefehlt. Weitere 33 Fehltage seien auf eine Erkrankung in der Ziehen zurückzuführen, die operativ behandelt worden und insgesamt ausgeheilt seien. Diese Fehlzeiten könnten somit für die negative Zukunftsprognose nicht herangezogen werden.
Die Klägerin hat weiter die Auffassung vertreten, das betriebliche Eingliederungsmanagement sei...