Rechtsmittel zugelassen
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbegriff. Betriebsänderung. Nachteilsausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer an Sinn und Zweck der §§ 111 ff BetrVG orientierten, verfassungskonformen Auslegung kann der Begriff des Betriebs auch mehrere „Kleinbetriebe” eines größeren Unternehmens umfassen (im Anschluss an BVerfG v. 27.01.1998 EzA § 23 KSchG Nr. 17).
2. Jedenfalls dann, wenn in einem Unternehmen der Gesamtbetriebsrat für eine Betriebsänderung zuständig ist, muss für die Betriebsgröße auf die Mitarbeiter der in seine Zuständigkeit fallenden Betriebe insgesamt abgestellt werden.
Normenkette
BetrVG §§ 111, 113; KSchG §§ 1, 10
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 06.01.1998; Aktenzeichen 4 Ca 1599/97) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 06.01.1998 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen – 4 Ca 1599/97 – teilweise abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 40.000,00 DM zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 2/3 und der Beklagten zu 1/3 auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, hilfsweise über die Zahlung einer Abfindung nach § 113 BetrVG.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.11.1987 als Finanzberater gegen eine durchschnittliche Monatsvergütung von zuletzt 8.000,00 DM brutto tätig. Er arbeitete in der Zweigstelle A . Die Beklagte, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, befasst sich mit der Vermittlung von Versicherungs-/Bauspar-
verträgen und von Bankprodukten. Diese Vermittlungstätigkeit wurde bisher durch angestellte Außendienstmitarbeiter wie den Kläger ausgeübt.
Mit Schreiben vom 21.05.1997 (Kopie Bl. 15 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.12.1997. Zur Begründung verwies sie auf ihre Absicht, in Zukunft aus Rentabilitätsgründen Handelsvertreter statt festangestellter Außendienstmitarbeiter zu beschäftigen. Eine solche Tätigkeit wurde auch dem Kläger angeboten, von ihm aber abgelehnt.
Bei der Beklagten bestanden ursprünglich Betriebsräte für die Hauptverwaltung in F und fünf Vertriebsbereiche. Der Kläger war bis Februar 1997 für den Vertriebsbereich Mitte als Betriebsobmann im Amt. Im Februar 1997 wurde dieser Vertriebsbereich aufgelöst und den Bereichen Süd und West zugeordnet. Die Zweigstelle A wurde dem Betriebsbereich West zugewiesen. Die nach dieser Umstrukturierung verbliebenen vier Betriebsbereiche hatten jeweils weniger als 20 Arbeitnehmer. Bei der Beklagten gibt es ferner einen Gesamtbetriebsrat, der nach Angaben des Klägers seit dem Jahre 1991 besteht.
Unter dem 12.05.1997 (Kopie Bl. 47 d.A.) hatte die Beklagte den für den Betriebsbereich West gewählten Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung angehört. Der Betriebsrat äußerte unter dem 16.05.1997 Bedenken gegen die Kündigung.
Der Kläger hat die Kündigung wegen des nachwirkenden Kündigungsschutzes nach § 15 Abs. 1 KSchG für rechtsunwirksam und im übrigen für sozial ungerechtfertigt gehalten. Für den Fall, dass die Kündigung sich als rechtswirksam erweise, sei die Beklagte jedenfalls zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet, weil sie keinen Interessenausgleich durchgeführt habe. Die Aufspaltung in die jeweils unter 20 Mitarbeiter zählenden Vertriebsbereiche sei willkürlich und habe lediglich die Verhinderung von Sozialansprüchen bezweckt. In Wirklichkeit seien die ca. 80 Finanzberater einheitlich dem Hauptbetrieb in F zuzuordnen, weil von dort einheitlich die Leitungsmacht ausgeübt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 21.05.1997 nicht aufgelöst worden ist,
die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Bedingungen als Finanzberater über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen,
hilfsweise
für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist die Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt, weil sie die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, den Außendienst nicht mehr durch angestellte Außendienstmitarbeiter, sondern nur noch durch freie Handelsvertreter durchzuführen. Die Entscheidung sei auch ab dem 01.07.1997 tatsächlich umgesetzt worden, weil zu diesem Zeitpunkt alle noch im Arbeitsverhältnis stehenden Außendienstmitarbeiter freigestellt und nur noch freie Handelsvertreter beschäftigt worden seien. Daher habe dem Kläger auch nach § 15 Abs. 4 KSchG ordentlich gekündigt werden können. Ein Interessenausgleich habe nicht versucht werden müssen, weil in keinem der vier Vertriebsbereiche mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.01.1998 abgewiesen. Wegen seiner Entscheidungsgründe w...