Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung eines Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (amtlich)
Ein Betriebsratsmitglied kann während des Verfahrens um die Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 103 Abs. 2 BetrVG nur unter besonders erschwerten Voraussetzungen von der Arbeit freigestellt werden. Das ohne diese Erfordernisse suspendierte Betriebsratsmitglied hat einen Verfügungsgrund, um seine Weiterbeschäftigung mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen.
Normenkette
BetrVG § 103; ArbGG § 62 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 27.06.2005; Aktenzeichen 8 Ga 38/05) |
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 27.06.2005 – 8 Ga 38/05 d – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verfügungsbeklagte verurteilt wird, den Verfügungskläger vorläufig als Extruder-Gehilfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Zustimmungsersetzungsverfahren (ArbG Aachen – 8 BV 38/05 d –), jedoch nicht länger als bis zu der erstinstanzlichen Ersetzung der Zustimmung in diesem Verfahren beziehungsweise der erstinstanzlichen Entscheidung in dem über die Beschäftigung des Verfügungsklägers geführten Hauptsacheverfahren (ArbG Aachen – 8 Ca 2816/05 d –) zu beschäftigen.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Verfügungsbeklagte (künftig: Beklagte) berechtigt ist, den Verfügungskläger (künftig: Kläger) von der Arbeit freizustellen.
Der 55 Jahre alte Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als Extruder-Gehilfe beschäftigt. Er ist in dem bei der Beklagten bestehenden siebenköpfigen Betriebsrat stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.
Am 02.06.2005 kam es zu folgendem Vorfall. Während eines Streiks wollte der Kläger als Streikposten das Werkstor schließen. Demgegenüber machte der Mitarbeiter D geltend, der Zugang zum Betrieb müsse auch wegen der Tätigkeit eines Drittunternehmens auf dem Betriebsgelände möglich sein. Daraufhin kam es zwischen dem Kläger und D zu einem Wortwechsel. Streitig ist zwischen den Parteien, ob der Kläger und D körperlich aneinander geraten sind und D in Folge dessen durch einen Kopfstoß „Kopfnuss”) des Klägers eine blutende Verletzung im Mundbereich erlitt. Unter dem 10.06.2005 bescheinigte ein Arzt, D habe ihn am 02.06.2005 wegen des von ihm behaupteten Kopfstoßes aufgesucht. Weiterhin heißt es in dem Attest:
„Die röntgenologische Untersuchung ist ohne Befund. Die klinische Untersuchung ergab eine Klopfempfindlichkeit der Oberkiefer Frontzähne und ein leichtes Bluten der Gingiva. Die Zähne sind vital. Spätfolgen sind allerdings nicht ausgeschlossen.”
Mit Schreiben vom 03.06.2005 stellte die Beklagte den Kläger unter Anrechnung auf sein Freizeitguthaben von der Arbeit frei. Unter dem 09.06.2005 ersuchte sie den Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung mit der Beklagten am 14.06.2005 zugegangenem Schreiben. Wegen des am 16.06.2005 eingegangenen Antrags der Beklagten auf Zustimmungsersetzung ist der Rechtsstreit noch vor dem Arbeitsgericht Aachen anhängig (– 8 BV 38/05 d –).
Mit dem am 17.06.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie dem gleichzeitig eingeleiteten Hauptsacheverfahren, das noch beim Arbeitsgericht Aachen anhängig ist (– 8 Ca 2816/05 d –), hat der Kläger seine tatsächliche Beschäftigung begehrt. Gegenüber seiner Version einer harmlosen Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter D hat die Beklagte behauptet, über den körperlichen Angriff hinaus zeige sich die aggressive Einstellung des Klägers daran, dass er gegenüber dem Mitarbeiter G nach erfolglosem Aufruf zur Beteiligung am Streik erklärt habe, er werde sich das merken und G von ihm hören. Beeinträchtigungen des Betriebsfriedens seien zu befürchten. Ein erneutes Zusammentreffen von D und dem Kläger lasse sich nicht vermeiden, weil letzterer als Schlosser an allen Maschinen und damit auch am Arbeitsplatz von D arbeiten müsse.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsverfahrens – ArbG Aachen 8 BV 38/05 d – in seiner bisherigen Position zu beschäftigen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Blatt 97 ff d. A. Bezug genommen.
Gegen das ihr am 04.07.2005 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 08.07.2005 Berufung eingelegt, die am selben Tag begründet worden ist. Sie behauptet weiterhin, der Kläger habe D körperlich angegriffen und mit einem Kopfstoß im Mundbereich verletzt. Zumindest bestehe der dringende Verdacht eines solchen Angriffs. Im Übrigen habe der Kläger bei einem Zusammentreffen mit D während des vorliegenden Verfahrens am 28.06.2005 diesem gegenüber erklärt, es stimme, das er ihn „auf die Schnauze gehauen” und „einen Fehler gemacht” habe. Im Betrieb herrsche Unr...