Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigung. Einstweilige Verfügung. Betriebsratsmitglied. Interessenabwägung. Fürsorgepflicht. ungekündigtes Arbeitsverhältnis. Stempelkartenmissbrauch
Leitsatz (redaktionell)
Während des Laufs eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds besteht dessen, aus der Fürsorgepflicht unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 GG und Art. 2 GG abgeleiteter, Beschäftigungsanspruch weiter. Von dieser Beschäftigungspflicht ist der Arbeitgeber nur ausnahmsweise bei Vorliegen überwiegender schutzwürdiger Interessen frei.
Normenkette
ZPO §§ 935, 940; BetrVG § 103
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 30.03.2005; Aktenzeichen 3 Ga 5/05) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 30. März 2005 – 3 Ga 5/05 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über den Anspruch des Verfügungsklägers auf Weiterbeschäftigung.
Der Verfügungskläger ist seit dem 22. Februar 1999 als Betriebshelfer bei der Verfügungsbeklagten tätig. Seine monatliche Vergütung beträgt 1.400,00 EUR brutto.
Der Verfügungskläger ist Mitglied des bei der Verfügungsbeklagten bestehenden Betriebsrats.
Die Verfügungsbeklagte beabsichtigt, den Verfügungskläger außerordentlich zu kündigen, da sie ihm vorwirft, unter anderem am 14. Januar 2005 unentschuldigt vorzeitig das Betriebsgelände verlassen und einen Stempelkartenbetrug begangen zu haben. Seit dem 17. Januar 2005 beschäftigt sie den Verfügungskläger nicht mehr.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2005 bat sie den Betriebsrat um die Erteilung zur Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Verfügungsklägers. Der Betriebsrat lehnte mit Schreiben vom 21. Januar 2005 die Erteilung seiner Zustimmung zur Kündigung ab. Die Verfügungsbeklagte beantragte darauf hin am 27. Januar 2005 gemäß § 103 BetrVG die gerichtliche Zustimmungsersetzung. Das Verfahren ist beim Arbeitsgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 3 BV 3/05 anhängig. Die Güteverhandlung ist am 18. Februar 2005 gescheitert. Ein erster Termin zur Kammerverhandlung hat am 1. Juli 2005 stattgefunden. Ein weiterer Behandlungstermin vor dem Arbeitsgericht ist auf den 19. Oktober 2005 anberaumt.
Nachdem der Verfügungskläger gegenüber der Verfügungsbeklagten in der Güteverhandlung in dem Beschlussverfahren vom 18. Februar 2005 seine Weiterbeschäftigung verlangt und seine Arbeitskraft angeboten hatte, erklärte die Verfügungsbeklagte, dass sie sich hierzu umgehend erklären werde und teilte mit Schreiben vom 24. Februar 2005 mit, dass sie es ablehne, den Verfügungskläger weiterzubeschäftigen.
Mit seinem am 9. März 2005 bei Gericht eingegangenen Antrag verfolgt der Verfügungskläger sein Begehren weiter.
Er hat beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, den Antragsteller zu unveränderten Bedingungen als Betriebshelfer weiterzubeschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass ihre Interessen an der Suspendierung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Verfügungsklägers an der Weiterbeschäftigung überwögen. Hierzu trägt sie vor, dass ihr Betriebsleiter, Herr Haefner H., am 14. Januar 2005 unmittelbar in einem Gebüsch neben dem Parkplatz postiert gestanden und den Verfügungskläger dabei beobachtet habe, wie er gemeinsam mit dem Kollegen Herrn Indulto I. im Wagen des Herrn Indulto I. fast eine halbe Stunde vor Schichtende weggefahren sei (Beweis: Zeugnis des Herrn Haefner H., zum Termin sistiert). Dies habe auch ein weiterer Mitarbeiter, Herr Hartmann Hr., beobachtet, der hinter der nächsten Straßenecke gestanden habe und über Mobiltelefon mit Herrn Haefner H. verbunden gewesen sei (Beweis: wie vor). Seine Stempelkarte habe der Kläger anderweitig zum regulären Schichtende stempeln lassen. Das Verhalten des Verfügungsklägers habe strafrechtliche Relevanz. Indem der Verfügungskläger nunmehr abstreite, sich dergestalt verhalten zu haben, begehe er darüber hinaus einen Prozessbetrug.
Bei der Interessenabwägung sei ferner zu berücksichtigen, dass der Verfügungskläger weiterhin sein Betriebsratsamt ausüben könne, da ihm der Zutritt zum Betrieb gestattet werde. Im Übrigen habe sich im Betrieb der Vorfall herumgesprochen. Im Falle der Weiterbeschäftigung des Verfügungsklägers würde der Betriebsfrieden empfindlich gestört.
Ferner bestehe kein Eilbedürfnis mehr, da der Verfügungskläger seit fast zwei Monaten suspendiert sei.
Das Arbeitsgericht hat durch sein am 30. März 3005 verkündetes Urteil der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, den Verfügungskläger zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Betriebshelfer weiterzubeschäftigen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des ange...