Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelter Vorsatz bei Arbeitsunfall nach §§ 104, 105 SGB VII. Verletzungserfolg als Inhalt des doppelten Vorsatzes. Schädigungsabsicht beim Arbeitsunfall
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zum "doppelten Vorsatz" im Sinne der §§ 104, 105 SGB VII. Der "doppelte" Vorsatz muss auch den Verletzungserfolg umfassen.
Normenkette
SGB VII §§ 104-105; BGB § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1; ZPO § 91 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 24.02.2021; Aktenzeichen 4 Ca 1561/20) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 24.02.2021, Az. 4 Ca 1561/20 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten dem Kläger zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sind.
Der am 1967 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.02.2019 als Bauhelfer bei dem Beklagten zu 1., der eine Bauunternehmung betreibt, tätig. Der Beklagte zu 2. ist der Vater des Beklagten zu 1. und als "Bauleiter" tätig. Der Kläger war in seinem Beruf seit 35 Jahren tätig.
Die Bauunternehmung des Beklagten zu 1. arbeitete auf einer Baustelle in E und erbrachte dort insbesondere Schalungsarbeiten und Ausgießarbeiten von Treppen mit Beton.
Am 19.02.2019 kam es zu einem schweren Arbeitsunfall auf der Baustelle. An diesem Tag waren neben dem Kläger noch zwei weitere Mitarbeiter, Herr V , der Sohn des Klägers, und Herr R , der Schwiegersohn des Klägers, tätig. Der Kläger entfernte die Verschalung einer Betontreppe einschließlich der Stützen. Ob dies auf Anweisung des Beklagten zu 2. geschah, steht zwischen den Parteien im Streit. Die Betontreppe stürzte in sich zusammen und begrub den Kläger unter sich. Der Kläger erlitt schwerste Verletzungen und musste sich mehrfach in vollstationäre Behandlung begeben. Er leidet weiterhin unter massiven Folgen des Arbeitsunfalles.
Im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten zu 1. wurde von der Staatsanwaltschaft K eine Stellungnahme des Amtes für Arbeitsschutz eingeholt. In dieser Stellungnahme heißt es, dass die Betontreppe nach der DIN 1045: 1988-07 nicht vor Ablauf einer Frist von 20 Tagen hätte ausgeschalt werden dürfen. In der Stellungnahme der Bezirksregierung heißt es zudem, dass den Grundpflichten des Arbeitgebers nach dem Arbeitsschutzgesetz seitens des Beklagten zu 1. nicht nachgekommen wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme wird auf dessen Abschrift (Bl.57 der Akte) Bezug genommen. Zudem wurde der Beklagte zu 2. im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens als Zeuge vernommen. Während der Vernehmung sagte der Beklagte zu 2. aus, dass sein Sohn - der Beklagte zu 1. - am Vortag die Anweisung erteilt habe, die Bretter an der Stirnseite der Stufen zu entfernen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Aussage wird auf die deren Abschrift (Bl.64 der Akte) Bezug genommen.
Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft K gegen den Beklagten zu 1. wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde gemäß § 153 StPO eingestellt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aufgrund des Unfalls vom 19.02.2019 und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet seien. Der Kläger hat behauptet, dass der Beklagte zu 1. ihm am Abend des 18.02.2019 über Herrn V telefonisch habe ausrichten lassen, dass er am 19.02.2019 am Bauvorhaben in E arbeiten solle. Am 19.02.2019 sei gegen 11:00 Uhr der Beklagte zu 2. auf der Baustelle erschienen und habe den Kläger ausdrücklich angewiesen, die Verschalung der vierten Betontreppe einschließlich der Stützen zu entfernen. Der Kläger habe nachgefragt, ob er wirklich "alles" also Verschalung inklusive der Stützen entfernen solle. Daraufhin habe der Beklagte zu 2. geantwortet: "Ja, alles.". Da das Arbeitsverhältnis noch keine drei Wochen bestanden habe und der Kläger Ärger mit den Beklagten vermeiden wollte, habe er keine weiteren Fragen mehr gestellt und sei den Anweisungen des Beklagten zu 2. gefolgt. Kurz vor Abschluss der Arbeiten sei es dann zu dem folgenschweren Unfall gekommen. Der Kläger habe die Anweisung alles, also auch die Stufenbretter und die komplette Ausschalung an der vierten Betontreppe, zu entfernen auch nicht missverstanden, obwohl seine Deutschsprachkenntnisse nur rudimentär seien. Die Weisung sei klar gewesen. Der Beklagte zu 2. habe den Kläger angewiesen, die Betontreppe auszuschalen, obwohl er wusste, dass die Ausschalfristen noch lange nicht abgelaufen und der Beton somit nicht ausgehärtet gewesen sei. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass beide Beklagten in erheblichem Umfang gegen arbeitsschutzrechtliche Pflichten verstoßen und hinsichtlich des Unfalls mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt hätten. Es habe weder eine Gefährdungsbeurteilung stattgefunden noch eine Sicherheitsunterweisung. Eine Unterweisung...