Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsfrist. Altersdiskriminierung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB verstößt wegen Altersdiskriminierung gegen den europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und ist daher nicht anzuwenden (im Anschluss an zahlreiche LAG-Entscheidungen, vgl. insbesondere LAG Berlin-Brandenburg 24.07.2007 – 7 Sa 561/07).

 

Normenkette

BGB § 622 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 15.05.2009; Aktenzeichen 5 Ca 10433/08)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.05.2009 – 5 Ca 10433/08 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27.11.2008 am 30.04.2009 aufgelöst worden ist.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin ¼ und die Beklagte ¾.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Dauer der Kündigungsfrist unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung.

Die am 21.01.1980 geborene Klägerin war bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 13.08.1996 als Arzthelferin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 08.01.2007 regelt in § 11 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses; § 11 Abs. 2 – inhaltsgleich zu § 622 Abs. 2 S. 1 BGB – gestaffelte Kündigungsfristen für den Arbeitgeber nach Dauer der Beschäftigung; § 11 Abs. 2 S. 2 lautet entsprechend § 622 Abs. 2 S. 2 BGB: „Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres der Arzthelferin liegen, nicht berücksichtigt.”

Zwischen den Parteien ist außer Streit, dass auf den Kleinbetrieb der Beklagten das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet.

Die Beklagte kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 27.11.2008, zugegangen am selben Tag, „fristgerecht zum 31.12.2008, hilfsweise zum nächstmöglichen Kündigungstermin”.

Dagegen hat die Klägerin mit der am 16.12.2008 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage Kündigungsschutz begehrt mit folgendem Antrag: „Die von der Beklagten am 27.11.2008 ausgesprochene Kündigung ist rechtsunwirksam. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht.” Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die gestaffelte Fristenregelung des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, die der arbeitsvertraglichen Vereinbarung entspreche, sei weder verfassungswidrig noch verstoße sie gegen europäische Richtlinien. Auf das Urteil (Bl. 45 bis 49 d.A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, die weiter der Auffassung ist, die streitige Regelung zur Berechnung der Kündigungsfristen verstoße gegen Gemeinschaftsrecht und müsse bei der Berechnung der Kündigungsfristen unangewendet bleiben, so dass die Kündigungsfrist erst zum 30.04.2009 ablaufe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.05.2009 – 5 Ca 10433/08 – aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27.11.2008 nicht am 31.12.2008 sein Ende gefunden hat, sondern bis zum 30.04.2009 unverändert weiter fortbestanden hat.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Berufung auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland Pfalz vom 31.07.2008 (10 Sa 295/08).

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis nicht bereits zum 31.12.2008, sondern erst zum 30.04.2009 fristgerecht beendet.

1. Die Kündigungsfrist beträgt gemäß § 622 Abs. 2 BGB, der § 11 Abs. 2 S. 1 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 08.01.2007 inhaltsgleich entspricht, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats. Denn die Klägerin war bei Ausspruch der Kündigung seit mehr als zwölf Jahren bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, nämlich seit dem 13.08.1996 beschäftigt. Für die Berechnung der Beschäftigungsdauer waren unabhängig vom Lebensalter der Klägerin sämtliche Zeiten seit Beginn des Arbeitsverhältnisses anzurechnen.§ 622 Abs. 2 S. 2 BGB, dem die arbeitsvertragliche Regelung unter § 11 Abs. 2 S. 2 entspricht, der die Nichtberücksichtigung von Zeiten vor der Vollendung des 25. Lebensjahres vorsieht, war wegen Verstoßes gegen den europarechtlichen Gleichheitsgrundsatz nicht anzuwenden.

2. Das Berufungsgericht folgt den Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 24.07.2007– 7 Sa 561/07; 26.08.2008 – 7 Sa 252/08), des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein (Urteil vom 28.05.2008 – 3 Sa 31/08), des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 09.04.2009 – 3 Sa 205/08) sowie der überwiegenden Rechtsauffassung der Literatur (vgl. dazu die zahlreichen Nachweise in den vorgenannten Entscheidungen) entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Düsseld...

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