Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung durch Insolvenzverwalter. Mehrjährige Freistellung. Anfechtbarkeit der Zahlungen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Erlass einer werthaltigen Forderung ohne Gegenleistung ist grundsätzlich als unentgeltlich zu werten. Gleiches gilt für Schenkungen. In Zweifelsfällen ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise vorzunehmen und der Gesamtvorgang zu berücksichtigen.
2. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte. Für die Erbringung einer Leistung im Rahmen eines entgeltlichen Vertrages wird angenommen, dass die Leistung des Schuldners entgeltlich ist, soweit durch sie eine bestehende Verbindlichkeit erfüllt wird. Gegenleistung soll dann die vom Schuldner erlangte Befreiung von seiner Schuld sein.
3. Nicht jede Freistellung durch den Arbeitgeber führt dazu, dass der Arbeitnehmer bei einer späteren Insolvenz des Arbeitgebers gegen die Anfechtbarkeit der Zahlungen geschützt ist.
Normenkette
InsO § 134; BGB § 615; InsO § 143 Abs. 1; BGB § 611
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 25.06.2013; Aktenzeichen 3 Ca 2290/12 h) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 25. Juni 2013 - 3 Ca 2290/12 h - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.696,01 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Juni 2010 zu zahlen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der klagende Insolvenzverwalter fordert den an die Beklagte für den Zeitraum Oktober 2005 bis August 2009 gezahlten Nettolohn zurück.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen von Herrn H . Das Insolvenzverfahren wurde am 21. Januar 2010 eröffnet.
Die Beklagte war die Ehefrau des Schuldners. Dieser war Inhaber eines Kleinbetriebes. Die Beklagte war bei ihm vom 1. September 2003 bis zum 30. Oktober 2009 zu einem monatlichen Bruttogehalt von 1.100,00 EUR (= 631,83 EUR netto) angestellt.
Im Zuge der Trennung der Eheleute stellte der Schuldner die Beklagte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitspflicht frei. Die Freistellung erfolgte nach Angaben des Klägers im Oktober 2004 und nach Darstellung der Beklagten im Januar 2005.
Mit Schreiben vom 3. Januar 2005 wandte sich der Schuldner mit den folgenden Worten an die Beklagte:
"Aus beiderseits eingetretenen persönlichen Gründen stelle ich meine Frau H i vom 03. Januar 2005 von der Arbeit bis auf Weiteres frei.
Monatliche Gehaltszahlungen werden von mir wie bisher zugesichert.
Eine Kündigung kann hieraus nicht abgeleitet werden."
Der Schuldner kündigte das Arbeitsverhältnis am 15. Oktober 2009 zum 30. Oktober 2009. Der Kläger erklärte gegenüber der Beklagten unter dem 25. Mai 2010 die insolvenzrechtliche Anfechtung der Gehaltszahlungen von Oktober 2005 bis August 2009 und forderte sie auf, den insgesamt erhaltenen Nettobetrag in Höhe von EUR an ihn zu zahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei wirksam, weil die Beklagte unentgeltliche Leistungen des Schuldners bezogen habe. Es habe sich nicht um eine Freistellung im Rechtssinne gehandelt. Der Schuldner habe die Zahlungen nur erbracht, um Ruhe vor seiner Ehefrau zu haben. Die Beklagte sei mit der Freistellung einverstanden gewesen. Sie sei sich darüber bewusst gewesen, dass sie nicht mehr für den Schuldner tätig werden würde. Letztlich handele es sich bei den Zahlungen um Schenkungen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 29.696,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.06.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, der Schuldner habe sie gegen ihren Willen freigestellt. Er habe die Schlösser zum Büro ausgetauscht und die Passwörter für den PC geändert. Der Arbeitsvertrag sei als entgeltlicher Austauschvertrag zu werten. Daran ändere eine Freistellung nichts.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 11. September 2013 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Kläger am 30. September 2013 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. Oktober 2013 am 14. Oktober 2013 begründet.
Der Kläger ist nach wie vor der Meinung, die Beklagte sei zur Zahlung des erhaltenen Nettoentgelts verpflichtet. Sie habe als dem Schuldner nahestehende Person im Sinne des § 138 Abs. 1 Nr. 1 InsO über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren keine Arbeitsleistung erbracht. Es komme nicht darauf an, ob der Schuldner zu Gehaltszahlungen verpflichtet war, sondern darauf, dass die Beklagte keine objektiv gleichwertigen Gegenleistungen zu erbringen gehabt habe. Im Interesse der Insolvenzgläubiger, die ihre Gegenleistungen erbracht hätten und sich mit der Insolvenzquote zufrieden gebe...