Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung kein Rettungsanker bei fehlenden personen- oder verhaltensbedingten Gründen. Screenshot kein Beweis für IT-Manipulation oder Inventurdifferenzen
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO ist ein Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei notwendig, der alles das beinhaltet, was die darlegende Partei weiß und wissen kann. Die Vorlage von EXCEL-Datenblättern und damit die Darstellung der Ergebnisse von Rechenoperationen, reicht nicht aus, um die Täterschaft eines Arbeitnehmers für eine behauptete Straftat darzulegen. Sie reicht gleichfalls nicht aus, um die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs schlüssig darzustellen.
2. Die betriebsbedingte Kündigung ist kein "Auffangtatbestand" für Sachverhalte, in denen die Tatsachen zur Begründung einer verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigung nicht ausreichen.
Normenkette
KSchG § 1; BGB § 626; ZPO §§ 138, 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 26.06.2020; Aktenzeichen 1 Ca 8472/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.06.2020 - 1 Ca 8472/19 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und um Schadensersatzansprüche
Der Kläger ist im Jahre 1972 geboren. Er ist verheiratet und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Bei der Beklagten ist er seit dem 01.08.2012 als Bezirksleiter beschäftigt. Hierfür erhielt er ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 4.504,00 EUR. Die Beklagte betreibt einen Getränkegroßvertrieb, dem auch auswärtige Getränkemärkte angeschlossen sind, für die die jeweiligen Marktleiter im Anstellungsverhältnis verantwortlich sind. Die Beklagte beliefert aber auch Getränkemärkte, die eigenständig von den jeweiligen Inhabern betrieben werden. Die Beklagte selbst beschäftigt ca. 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein Betriebsrat ist im Betrieb nicht gewählt worden.
Mit Schreiben vom 11.12.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise fristgerecht. Im Kündigungsschreiben teilt die Beklagte die folgenden Kündigungsgründe mit: Der Kläger habe sechs Fantasie-Kunden im IT-System angelegt; er habe diesen Fantasiekunden einen Rabatt von 95 % eingerichtet; innerhalb eines Monats habe es mit diesen Fantasie-Kunden 423 Geschäftsvorgänge gegeben; bei allen diesen Geschäftsvorgängen sei das Leergut 1 : 1 abgerechnet worden, als ob tatsächlich Leergut zurückgegeben worden wäre; obwohl der Kläger im Rahmen einer Anhörung zu diesen Vorfällen versprochen habe, eine Liste der Mitarbeiter vorzulegen, die an den fraglichen Tagen tatsächlich in den jeweiligen Märkten gewesen seien, sei dies nicht geschehen; die Marktleiter hätten mitgeteilt, sie seien angewiesen worden, den Fantasie-Kunden die Ware auszuhändigen ohne Lieferscheine auszustellen; den Mitarbeitern vor Ort sei vom Kläger mitgeteilt worden, "die Industrie" würde die 95 % Differenz ausgleichen und das sei alles so mit Herrn A abgesprochen; der Kläger habe den jeweiligen Mitarbeitern vor Ort mitgeteilt, die Abrechnung werde "über die Zentrale" erfolgen; tatsächlich seien die Geschäfte aber nie abgerechnet worden; physisch nicht mehr vorhandene Ware sei ausgebucht worden; Mitarbeiter hätten mitgeteilt, zu anderen Gelegenheiten sei die Herausgabe ganzer Paletten an Kunden veranlasst worden, ohne dass Lieferscheine ausgestellt worden seien; Fehlbeträge in einigen Märkten seien verschleiert worden, indem die Einnahmen vermischt und neu verteilt worden seien.
Die Beklagte hat mit der Abrechnung für den Monat Dezember 2019 einen Betrag in Höhe von 943,87 EUR vom Arbeitsentgelt des Klägers einbehalten. Bei diesem Betrag handelt es sich um einen kleinen Teilbetrag der Schadensersatzforderung, die die Beklagte im Übrigen mit der Widerklage geltend macht.
Mit der seit dem 23.12.2019 anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt und mit Klageerweiterung vom 04.04.2020 hat er die Auszahlung des im Dezember 2019 einbehaltenen Betrages begehrt. Die Beklagte ihrerseits hat mit der am 23.03.2020 erhobenen Widerklage Schadensersatz in Höhe von 566.961,46 EUR nebst Zinsen gefordert.
Der Kläger hat vorgetragen, es gebe keinen Kündigungsgrund. Er habe am Kassensystem keine Manipulation vorgenommen. Er habe keine Pseudokunden angelegt. Er habe keine Marktleiter angewiesen, Ware mit einem Rabatt-Satz iHv 95 % an spezielle Kunden herauszugeben. Für die Inventuren sei er gar nicht zuständig gewesen. Im Gespräch vom 06.12.2019 habe die Mitarbeiterin B mehrmals gesagt es sei sie gewesen, die den (vermeintlichen) Fantasiekunden M angelegt habe. Seine Computer-Passswords seien in Betrieb bekannt gewesen, zB der Sekretärin in der Zentrale, Frau N und auch Herrn A persönlich. Auf seinen Namen sei auch von anderen Personen gebucht und kassiert worden. Der von der Beklagten vorgelegte Screenshot (...