Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen angeblich vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG geführt.

2. Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nur dann erschüttert, wenn vom Arbeitgeber vorgetragene Tatsachen zu ernsthaften Zweifeln an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben (hier: verneint).

 

Normenkette

KSchG § 1; BGB § 626; SGB V § 275; BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 24.09.2019; Aktenzeichen 4 Ca 817/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.09.2019 - 4 Ca 817/19 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die hilfsweise als ordentliche ausgesprochen worden war, über einen in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag sowie über Zahlungsansprüche.

Die Beklagte vertreibt Backwaren auf Wochenmärkten. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der Kläger ist 35 Jahre alt, verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist bei der Beklagten seit dem 05.01.2010 zunächst als Verkäufer und zuletzt als "Marktleiter" beschäftigt. Mit einer Vertragsurkunde vom 01.02.2018 (Bl. 11 d.A.) vereinbarten die Parteien ausdrücklich, dass die Tätigkeit des Klägers die eines "Marktleiters" sei, dass der Stundenlohn nunmehr 17,87 EUR betrage und dass dem Kläger als Weihnachts- und Urlaubsgeld ein 13. Bruttomonatsgehalt zustehe.

Ein entsprechend der besagten Vereinbarung geschuldetes Weihnachtsgeld für das Jahr 2018, das nach der Berechnung des Klägers 2.025,49 EUR hätte betragen müssen, wurde von der Beklagten nicht ausgezahlt und ist ein Gegenstand der mit der Klage verfolgten Forderung, in dieser Höhe fällig am 15.12.2018.

Der zuletzt von der Beklagten abgerechnete Stundenlohn ist im Rahmen allgemeiner Entgelterhöhungen um 18 Cent gestiegen, der besagten Stundenlohn beträgt zuletzt damit 18,05 EUR (Anlage K5, Bl. 12 d.A.). Für den Monat Dezember 2018 rechnete die Beklagte an geleisteter Arbeit 9,87 Stunden ab, als Urlaubslohn 54,2 Stunden und als Lohnfortzahlungszeitraum 151,76 Stunden. Mit einem Nachtzuschlag für eine Stunde führte dies insgesamt zu einem Bruttoentgelt in Höhe von 3.900,24 EUR. Nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge errechnete sich ein Nettoentgelt für den Monat Dezember 2018 in Höhe von 2.722,57 EUR, das ihm auch ausgezahlt wurde. Allerdings nahm die Beklagte mit der Abrechnung für den Monat Januar 2019 (Anlage K 6, Bl. 13 d.A.) eine Rückrechnung für den Monat Dezember vor, legte dieser Rückrechnung einen Stundenlohn in Höhe von 14,00 EUR zugrunde und zog deshalb vom Januarlohn 875,12 EUR brutto ab, so dass nur noch ein Nettoauszahlungsbetrag in Höhe von 741,41 EUR brutto verblieb. Dieser abgezogene Betrag in Höhe von 875,12 EUR, zur Auszahlung mit dem Januarentgelt am 15.02.2019 fällig, ist ein weiterer Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Neben der besagten Rückrechnung betreffend den Monat Dezember 2018 berechnete die Beklagte für den Monat Januar 2019 insgesamt 128 Stunden als Lohnfortzahlung. Dies geschah jedoch ebenfalls nur zu einem Stundenlohn in Höhe von jeweils 14,00 EUR und eben nicht auf der Grundlage eines Stundenlohns in Höhe von 18,05 EUR. Die sich so ergebende Differenz iHv 518,40 EUR brutto, zur Auszahlung mit dem Januarentgelt am 15.02.2019 fällig, ist ebenfalls Gegenstand der Klage.

Die Beklagte hat an den Kläger für den Zeitraum vom 22.01.2019 bis zum 30.03.2019 kein Entgelt geleistet. Für diesen Zeitraum hat der Kläger Krankengeld bezogen. Deshalb hat er seine Klage in dem Umfang zurückgenommen, soweit er mit ihr für diesen Zeitraum Entgelt gefordert hatte.

Der Kläger hat die nach seiner Auffassung fehlerhafte Berechnung des Januarentgelts mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 22.02.2019 der Beklagten gegenüber gerügt, hieran mit Schreiben vom 06.03.2019 erinnert und am 16.03.2019 Klage erhoben.

Gegenstand der Klage wurden schließlich im Wege der Klageerweiterung noch Entgeltforderungen des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für die Monate April 2019 (3.188,50 EUR brutto), Mai 2019 (4.151,50 EUR brutto) und Juni 2019 (3.861,61 EUR brutto).

Der Kläger wurde in der Zeit vom 12.09.2018 bis zum 23.03.2019 von insgesamt sechs verschiedenen Ärzten mit kurzen Unterbrechungen krankgeschrieben. Die Ärzte stellten insgesamt 7 Erstbescheinigungen und 7 Folgebescheinigungen aus. Die Anzahl der Ärzte und der Bescheinigungen waren Anlass für die Beklagte, an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu zweifeln. Am 02.04.2019 hatte der Kläger nach der Krankheitsphase seinen ersten Arbeitstag. Am 04.04.2019 fand im...

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