Arbeitsrecht: Umgang mit Krankschreibungen

Die Krankmeldungen steigen in der kalten Jahreszeit spürbar. Für Arbeitgeber heißt das: Vertretungen organisieren und Dienstpläne umschreiben. Aber auch arbeitsrechtliche Fragen stellen sich regelmäßig. Ein Überblick zum Umgang mit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit im Unternehmen.

Kaum sinken die Temperaturen und kalte, nasse Tage lösen die letzten Sommertage ab, steigen auch die Krankmeldungen in den Unternehmen wieder. Statistiken bestätigen: ab Ende September wächst die Zahl der krankheitsbedingten Personalausfälle spürbar. Für Arbeitgeber bedeutet das nicht nur, dass jetzt wieder Vertretungen organisiert, Dienstpläne umgeschrieben und Termine verschoben oder gar abgesagt werden müssen. Es stellen sich auch wieder zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen zum Umgang mit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Worauf sollten Arbeitgeber in Erkältungs- und Grippezeiten achten?

Ordnungsgemäße Abmeldung bei Erkrankung

Handlungsbedarf besteht vielfach bereits im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Krankmeldung. Arbeitnehmer müssen ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber "unverzüglich" mitteilen. "Unverzüglich" bedeutet: ohne schuldhafte Verzögerung, sobald klar ist, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Das kann unter Umständen auch schon deutlich vor dem nächsten Arbeitsbeginn sein. Der Arbeitgeber soll so früh wie möglich die Chance bekommen, auf den Ausfall zu reagieren. Unklar, weil nicht unmissverständlich kommuniziert, ist dabei oft die Frage, bei wem und auf welchem Weg die Mitteilung zu erfolgen hat. In manchen Unternehmen haben sich hier Üblichkeiten wie etwa die Abmeldung bei Kolleginnen und Kollegen in einer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe oder kurze E-Mails entwickelt. Dies ist aus einer Vielzahl von Gründen nicht sinnvoll. Letztlich liegt es in der Organisationshoheit des Arbeitgebers, klare Vorgaben zu gestalten.

Tipp: Hiervon sollten Arbeitgeber auch Gebrauch machen und eindeutige Organisationsanweisungen, Richtlinien oder Standards schaffen. Insbesondere, wenn die konkrete Tätigkeit es erfordert, dass der Arbeitgeber kurzfristig Ersatz organisiert oder Aufgaben umverteilt, kann es sinnvoll sein, eine telefonische Mitteilung an den konkreten Vorgesetzten und parallel dazu eine Mitteilung in Textform, etwa per E-Mail, an die Personalabteilung zu verlangen. Nur, wenn derart klare Vorgaben gemacht werden, können im Übrigen Arbeitnehmer, die hiergegen verstoßen, auch sanktioniert werden.

Arbeitsunfähigkeit ärztlich attestieren lassen

Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage, verlangt das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit ärztlich attestieren lässt. In Arbeits- oder Tarifverträgen können hier auch kürzere Fristen vereinbart werden. Und: Im Einzelfall kann der Arbeitgeber eine ärztliche Untersuchung auch bereits ab dem ersten Tag verlangen. Auch von diesen Gestaltungsmöglichkeiten sollten Arbeitgeber Gebrauch machen, wenn es einen Anlass hierfür gibt. Dies ist insbesondere sinnvoll, wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin besonders häufig nur zwei oder drei Tage arbeitsunfähig ist und der Verdacht besteht, dass die gesetzliche Karenzzeit hier ausgenutzt wird.

Seit Einführung der elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) erhalten gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform mehr für ihren Arbeitgeber, sondern lediglich einen Ausdruck für ihre eigenen Unterlagen. Die ärztliche Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit wird auf elektronischem Weg der jeweiligen Krankenkasse übermittelt und von dort über einen Dienstleister dem Arbeitgeber zum Abruf bereitgestellt. Damit dieser Abruf ausgelöst wird, ist es sinnvoll, dass Arbeitnehmende den Arbeitgeber darüber informieren, dass sie beim Arzt waren. Eine entsprechende Mitteilungsobliegenheit sollten Arbeitgeber ebenfalls in die Anweisungen oder Richtlinien aufnehmen.

Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Papierform

Seit Einführung der eAU dürften Arbeitgeber auch aufhorchen, wenn ein gesetzlich krankenversicherter Arbeitnehmer gleichwohl noch mit einer Bescheinigung in Papierform, häufig auch als PDF übersandt, seine Arbeitsunfähigkeit belegt. Dass gesetzlich Versicherte auf eigene Kosten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von einem Privatarzt einholen, kommt eher selten vor. Insofern könnte dies ein Indiz für eine missbräuchliche oder "gefälschte" AU darstellen. Nach wie vor sind im Internet unseriöse Anbieter zu finden, die gegen entsprechende Zahlungen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen, ohne dass dem eine ärztliche Untersuchung vorausgeht. Die Anbieter nutzen dabei die grundsätzlich bestehende Möglichkeit von Videosprechstunden oder telefonischen Krankschreibungen aus, attestieren aber lediglich, was der Kunde zuvor auf der Website "bestellt" hat.

Sofern ein gesetzlich versicherter Arbeitnehmer eine Papierbescheinigung vorlegt, sollten Arbeitgeber diese daher standardmäßig einer Überprüfung unterziehen. Hier kann bereits eine kurze Recherche des attestierenden Arztes hilfreich sein. Auch wenn Ärzte aus sehr unterschiedlichen Regionen Bescheinigungen für denselben Arbeitnehmer abgeben, erscheint dies verdächtig. Liegen Anhaltspunkte vor, welche die Ordnungsgemäßheit des ärztlichen Attestes in Zweifel ziehen, besteht zunächst kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung.

Tipp: Manche Arbeitgeber haben gute Erfahrungen damit gemacht, ihre Beschäftigten darauf hinzuweisen, dass Atteste aus dem Internet in vielen Fällen nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und in jedem Fall einer Überprüfung unterzogen werden.

Dauer der Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit

Das Gesetz räumt jedem Arbeitnehmer Anspruch auf sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Jahr ein. Ein darüberhinausgehender Anspruch besteht nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung mindestens sechs Monate zurückliegt oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung mindestens ein Jahr vergangen ist.

In der jüngeren Vergangenheit tendiert die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dahin, in diesem Zusammenhang die Darlegungslast des Arbeitnehmers zu betonen. Als Anspruchssteller muss er die Voraussetzungen des Anspruchs darlegen – und damit eben auch, dass frühere Arbeitsunfähigkeiten innerhalb der zurückliegenden sechs Monate nicht auf derselben Erkrankung beruhten. Solange der Arbeitnehmer dies nicht dargelegt hat, kann er eine Fortzahlung seines Entgelts nicht verlangen.

Dass ein Arzt eine neue Erstbescheinigung ausgestellt hat, ist dabei kein hinreichender Beleg für eine neue, andere Erkrankung. Eine Erstbescheinigung wird auch dann ausgestellt, wenn die Zeit der Arbeitsunfähigkeit unterbrochen war und nun erneut eine Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird. Auf die zugrundeliegende Krankheit kommt es dabei nicht an. Sofern Arbeitgeber darunter leiden, dass einzelne Arbeitnehmer – möglicherweise wiederholt – insgesamt krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen im Jahr aufweisen, wäre es legitim, diese Arbeitnehmer auf die gesetzliche Verteilung der Darlegungslast hinzuweisen und um nähere Erläuterungen zu bitten. Bis die Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung dargelegt sind, kann der Arbeitgeber die entsprechenden Zahlungen zunächst zurückhalten.

Entgeltfortzahlung bei Überschneidung verschiedener Krankheiten

Ähnliches gilt, wenn sich verschiedene Krankheiten überschneiden: Beginnt die Arbeitsunfähigkeit wegen einer Erkrankung, noch bevor die vorangegangene Erkrankung ausgeheilt war, geht die Rechtsprechung von einem einheitlichen Verhinderungsfall aus. In diesem Fall sind die Entgeltfortzahlungszeiträume trotz unterschiedlicher Erkrankungen zusammenzurechnen. Das Vorliegen eines solchen einheitlichen Verhinderungsfalls vermutet das Bundesarbeitsgericht auch bereits dann, wenn zwischen dem Ende der vorangehenden und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitstag liegt, die Zeiträume also unmittelbar aneinander anschließen oder nur freie Tage oder ein Wochenende dazwischen liegen. Auch hier ist es der Arbeitnehmer, der darlegen muss, warum ein einheitlicher Verhinderungsfall ausnahmsweise doch nicht gegeben sein soll. (Lesen Sie dazu: "Entgeltfortzahlung: Wenn unterschiedliche Krankheiten aufeinander folgen"). 

Schließlich kann nach der Rechtsprechung das Bundesarbeitsgerichts die Beweiskraft eines ärztlichen Attestes auch dadurch erschüttert werden, dass eine neue Erkrankung – vielleicht sogar mehrfach – immer exakt nach sechs Wochen, also nach Ausschöpfung des maximalen Entgeltfortzahlungszeitraums, attestiert wird.

Tipp: Arbeitgeber, die den Eindruck haben, in der Vergangenheit in größerem Umfang unbegründete Entgeltfortzahlungen geleistet zu haben, sollten hier Mechanismen schaffen, nach denen jede Entgeltfortzahlung über sechs Wochen hinaus zumindest einer Prüfung unterzogen wird.

Höhe der Entgeltfortzahlung bei Erkrankung eines Arbeitsnehmers

Fragen ergeben sich auch häufig zur Höhe der geschuldeten Entgeltfortzahlung. Grundsätzlich gilt das Lohnausfallprinzip. Das heißt, der arbeitsunfähige Arbeitnehmer soll so gestellt werden, als wenn er wie geplant gearbeitet hätte.

Die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts kann mitunter kompliziert zu berechnen sein. Erhält der Arbeitnehmer ausschließlich eine monatliche Fixvergütung, ist diese schlicht weiterzuzahlen – hier ergeben sich keine Komplikationen. Enthält die Vergütung dagegen variable Bestandteile, etwa Umsatzbeteiligungen, Provisionen, Prämien oder Akkordlohn, aber auch Zeitzuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, wird dies schwieriger. Hier ist ein Rückgriff auf die in der Vergangenheit erzielten Vergütungen vorzunehmen. Je nachdem, wie sehr die Höhe des variablen Anteils schwankt, ist nach Ansicht der Rechtsprechung hier ein Zeitraum von einigen Monaten, möglicherweise aber auch eines ganzen Jahres erforderlich, um einen realistischen Durchschnittswert zu berechnen.

Hinweis: Jedenfalls kann sich der Arbeitgeber nicht auf den Standpunkt stellen, eine leistungsorientierte Vergütung sei nicht zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt. Dies stünde im Widerspruch zum Lohnausfallprinzip. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Gesetz abweichende Vereinbarungen (nur) in Tarifverträgen oder durch die Bezugnahme auf einen einschlägigen Tarifvertrag zulässt. Tarifverträge enthalten auch tatsächlich vielfach Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung, insbesondere, indem die Bemessungsgrundlage eindeutig bestimmt wird. In Arbeitsverträgen sind derartige Regelungen nicht wirksam möglich.

Kürzung von Sondervergütungen

Was allerdings möglich ist, ist die Kürzung von Sondervergütungen nach § 4a EFZG. Nach dieser Vorschrift können Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertraglich vereinbaren, dass Leistungen, die zusätzlich zum laufenden Entgelt erbracht werden, für Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gekürzt werden, sofern die Kürzung nicht über 25 Prozent hinausgeht. Unter diese Vorschrift fallen zwar nicht die rein leistungsbezogenen Vergütungen, wohl aber alle Sonderzahlungen mit Mischcharakter, die also sowohl erbrachte Leistungen wie auch die Betriebstreue honorieren sollen. Dies sind typischerweise Jahresboni, ein Weihnachtsgeld oder vergleichbare Zahlungen. Hier empfiehlt es sich, jedenfalls in zukünftig zu schließenden Verträge eine entsprechende Kürzungsvereinbarung aufzunehmen.


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