Entscheidungsstichwort (Thema)
Negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands im Falle einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit als Grund für eine personenbedingte Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands indiziert. Der dauernden Leistungsunfähigkeit steht die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Als absehbar ist in diesem Zusammenhang ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten anzusehen. Dabei stellt eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Es existieren keine starren Grenzen, ab welchem Zeitpunkt eine Krankheit als langanhaltend gelten hat. Jedenfalls dann wenn der Sechswochenzeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG noch nicht abgelaufen ist, kann allein die bisherige Dauer einer Erkrankung nicht als Indiz für eine dauerhafte oder langandauernde Arbeitsunfähigkeit dienen.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1 S. 1; KSchG § 4
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 24.08.2023; Aktenzeichen 5 Ca 649/23) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 24.08.2023 - 5 Ca 649/23 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt, seit dem 01.09.2021 als Fahrer des Krankenfahrdienstes zu einem monatlichen Gehalt in Höhe von 1.872,00 EUR brutto tätig.
Am 26.01.2023 kam es zu einem Vorfall, bei dem der Kläger den Rollstuhl einer Patientin bei einem Krankentransport nicht korrekt befestigte. Die Patientin erlitt deshalb einen Unfall. Infolgedessen war die Beklagte Schadensersatzansprüchen wegen der Behandlungskosten ausgesetzt.
Am 29.03.2023 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dies im Rahmen eines Arbeitsunfalls erfolgte. Ab dem 01.04.2023 war der Kläger aufgrund eines Bandscheibenvorfalls mit beidseitiger Lumboischialgie, extremer Rückenschmerzen mit erheblichen Einschränkungen der Mobilität und einer Nervenverletzung des Nervs in der Wirbelsäule arbeitsunfähig erkrankt. Dies teilte er der Beklagten mit Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 99 der erstinstanzlichen Akte) mit.
Mit Schreiben vom 06.05.2023, dem Kläger zugegangen am 09.05.2023, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 05.06.2023.
Mit der am 15.05.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 19.05.2023 zugestellten Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung gewandt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Er bestreitet, dass seine Erkrankungen einen dauerhaften Charakter hätten. Für sein Alter sei der Kläger deutlich überdurchschnittlich belastbar. Die Arbeitsunfähigkeit beruhe nicht auf einer schicksalhaften Vorerkrankung, sondern sei auf einen Arbeitsunfall beim Einsatz am 29.03.2023 um 18:00 Uhr zurückzuführen. Der Kläger sei auf einem guten Weg der Besserung und es sei damit zu rechnen, dass er ab September 2023 wieder im üblichen Maße belastbar sei. Darüber hinaus habe als milderes Mittel die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes zur Verfügung gestanden. Im Betrieb der Beklagten gebe es unzählige Tätigkeiten, die nicht mit dem Heben von Gewichten und/oder einer überdurchschnittlichen körperlichen Belastung verbunden seien, etwa die Unterstützung normalgewichtiger, mobiler Patienten, Betriebsfahrten für die Abholung von Rezepten bei Arztpraxen und Krankenhäusern sowie Bürotätigkeiten.
Der Kläger hat nach Rücknahme eines Weiterbeschäftigungsantrages zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 06.05.2023, zugegangen am 09.05.2023, nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte war der Auffassung, die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Der Kläger sei unter Berücksichtigung der Schwere der Krankheitssymptome körperlich nicht mehr in der Lage, die vertraglich vereinbarte vorbeschriebene Tätigkeit als Fahrer eines Krankenfahrtdienstes zukünftig auszuüben. Die körperliche Ungeeignetheit des Klägers habe sich auch bei dem Vorfall am 26.01.2023 gezeigt. Aufgrund der körperlichen Anstrengung habe der Kläger an diesem Tag den Rollstuhl der Patientin nicht korrekt befestigt. Die Beklagte müsse den Arbeitsplatz des Klägers anderweitig besetzen. Es komme immer wieder zu betrieblichen Schwierigkeiten, wenn ein Fahrer ausfalle. Die Beklagte sei dann genötigt, be...