Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. verhaltensbededingte. Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verlangen des Arbeitgebers gegenüber einem Lkw-Fahrer, für die Überschreitung von Standardregelzeiten zur Erledigung einer Transportaufgabe (Werksverkehr Köln-Zeebrügge) eine „nachvollziehbare” Begründung wegen der betrieblichen Ordnung und eventuell nachträglichen Genehmigung von Überstunden schriftlich zu liefern, kann im Einzelfall willkürlich oder unbillig sein, sie setzt mindestens voraus, daß die Zeitvorgabe objektivierbar ermittelt ist und die regelmäßig anfallenden Arbeiten erfaßt.
2. Erstreckt sich eine Zeitvorgabe gesondert auch auf „Rüstzeiten”, müssen diese ebenfalls nach REFA ermittelt worden sein, also auf eine bestimmte Arbeitsaufgabe als „Auftragszeit” bezogen sein; „persönliche Verteilzeiten” sind in die Zeitvorgabe (Auftragszeit) berechenbar einzubeziehen. Geschieht das nicht, kann der Arbeitgeber die Zeitvorgaben nicht mit dem bloßen Hinweis auf ein ihm vorliegendes REFA-Gutachten durchsetzen.
3. Die Mitteilung des Arbeitnehmers, er sei berechtigt gewesen, eine gültige Betriebsvereinbarung über persönliche Verteilzeiten dadurch zu verwirklichen, daß er die Fahrt außerhalb der als Standardregel vorgegebenen Pause und Lenkzeitunterbrechung für 2 × 15 Minuten an einer bestimmten Raststätte unterbräche, ist eine nachvollziehbare Begründung, wenn die Fahrtunterbrechungen eindeutig durch den Fahrtenschreiber dokumentiert werden. Vergütungsansprüche hängen von der Richtigkeit der Rechtsansicht des Arbeitnehmers ab; Abmahnung oder Kündigung sind ungeeignet, um die gegenteilige Auffassung des Arbeitgebers durchzusetzen, der die Fahrtunterbrechungen als solche nicht einmal untersagt hat.
4. Zur Unverhältnismäßigkeit einer gruppenbezogenen Disziplinierung von Mitarbeitern durch eine Serie von Abmahnungen und Kündigungen.
5. Ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG muß in tatsächlicher Hinsicht so substantiiert begründet werden, daß sich die negative Zukunftsprognose einzelfallbezogen für den konkreten Kläger ergibt. Der Antrag kann nicht dazu genutzt werden, Fehler des Managements auf Kosten des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers zu liquidieren oder die Voraussetzungen einer Druckkündigung zu umgehen, falls die Belegschaft Widerstand gegen dessen Rückkehr nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage angekündigt hat.
Normenkette
KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung, § 9
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 06.03.1996; Aktenzeichen 15 Ca 228/96) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 06.03.1996 – 15 Ca 228/96 – wird zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung der Beklagten.
Der Kläger, geboren am 12.04.1950, verheiratet und gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtet, steht seit dem 18.10.1971 bei der Beklagten, einem Großunternehmen der Automobilindustrie, in einem Arbeitsverhältnis als Lkw-Fahrer; sein monatlicher Bruttolohn betrug bei einem Grundlohn von 4.099,00 DM brutto zuletzt durchschnittlich mehr als 6.000,00 DM. Der Kläger ist seit dem 19.05.1993 Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50 %.
Seit Jahren ist der Kläger regelmäßig als Fahrer für den Betriebsteil „Super Cube” beschäftigt. Dabei handelt es sich um die seitens der Beklagten im Taktverkehr eingesetzte Transportflotte, welche die Aufgabe hat, Materialien und Produktionsteile zwischen den Fertigungsstandorten in Deutschland und England zu transportieren. Die Lkw-Flotte aus Köln bedient dabei den Hin- und Rücktransport zwischen Köln und dem Fährhafen Zeebrügge (Belgien), wo drei firmeneigene Fährschiffe für die Überfahrt eingesetzt sind.
Seit Jahren gab es Meinungsverschiedenheiten über die Frage, in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet wäre, die von den Fahrern für ihren jeweiligen Schichtdienst geltend gemachten Arbeitszeiten zu vergüten und insbesondere über den Umfang der dabei angefallenen Mehrarbeit gegenüber der tariflichen Normalarbeitszeit. Es wurde u. a. auch die Frage diskutiert, ob eine Betriebsvereinbarung des Gesamtbetriebsrates vom 16.11.1993, mit der die Anerkennung von sogenannten persönlichen Verteilzeiten im Rahmen von Arbeitszeitvorgaben mit Wirkung vom 01.01.1974 geregelt worden ist (Abl. Bl. 107 – 110 d. A.), auf die Lkw-Fahrer anzuwenden wäre. In einer Unterredung vom 15.06.1993 über Beschwerden der Lkw-Fahrer (Protokoll in der Anlage der Berufungsbeantwortung) wurde Einvernehmen darüber erzielt, daß diese Betriebsvereinbarung „auf die Gruppe der Fahrer ohne Einschränkung anzuwenden ist”. Die regelmäßig von den Fahrern und insbesondere auch von dem Kläger benötigte Arbeitszeit für die Transportaufgabe einschließlich der Vor- und Nacharbeiten lag über 10 Stunden; auch in Abrechnungen aus dem Jahr 1995 vergütete die Beklagte dem Kläger für die Fahrten ...