Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Umorganisation. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Vorrang der Änderungskündigung. arbeitgeberseitiger Auflösungsantrag
Leitsatz (amtlich)
1.) Ein Arbeitgeber, der die betriebsbedingte Kündigung eines Abteilungsleiters damit rechtfertigen will, dass dessen bisherige Position aufgrund einer Umorganisation weggefallen sei, muss im einzelnen nachvollziehbar darlegen, worin die Umorganisation besteht und wie sie in der Praxis „funktionieren” soll.
2.) Zur Frage der Zumutbarkeit freier Alternativarbeitsplätze für einen betriebsbedingt gekündigten Abteilungsleiter (Anschluss an BAG v. 21.04.2005, NZA 2005, 1289 ff.).
3.) Es kann einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag rechtfertigen, wenn ein in Leitungsfunktion tätiger Arbeitnehmer im Rahmen eines Streits um einen Anspruch aus dem Arbeitnehmererfindungsgesetz seinem Arbeitgeber schriftlich vorwirft, er sei „bekanntlich und wie bereits exerziert nicht sonderlich an einer wahrheitsgemäßen Klärung von Vergütungsansprüchen interessiert”, „die zur Vergütung verpflichteten deutschen Konzerntöchter hüllten sich in organisierte Unwissenheit”, die wissentliche Duldung einer nicht geeigneten Organisation, die den Mitarbeiter zwangsläufig benachteiligt, erfüllt den Straftatbestand des Betruges, mindestens aber den der arglistigen Täuschung”.
4.) Zur Bemessung der Höhe der Abfindung beim arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, §§ 1a, 2, 9-10; ZPO § 524 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 06.01.2005; Aktenzeichen 7 Ca 5626/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 06.01.2005 in Sachen 7 Ca 5626/03 teilweise abgeändert:
Der sog. Weiterbeschäftigungsanspruch (Urteilstenor zu 2) wird abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird im Hauptantrag zurückgewiesen.
Auf den Hilfsantrag der Beklagten hin wird das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.10.2004 aufgelöst. Im Gegenzug wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 49.468,80 EUR zu zahlen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger ¼, die Beklagte ¾. Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger ¾ und die Beklagte ¼.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung vom 30.04.2004, um davon abhängige Annahmeverzugsansprüche sowie einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag.
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge wird auf die Tatbestände des arbeitsgerichtlichen Teil-Urteils vom 29.07.2004 sowie des Schluss-Urteils vom 06.01.2005 Bezug genommen.
Das Teil-Urteil vom 29.07.2004, mit welchem das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung vom 30.09.2003 zum 29.02.2004 festgestellt hatte, ist rechtskräftig geworden.
Wegen der Gründe, die das Arbeitsgericht dazu bewogen haben, auch der gegen die betriebsbedingte arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.04.2004 zum 31.10.2004 gerichteten Feststellungsklage stattzugeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen, wird auf die Entscheidungsgründe des Schluss-Urteils vom 06.01.2005 Bezug genommen.
Das Schluss-Urteil vom 06.01.2005 wurde der Beklagten am 21.01.2005 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 16.02. und 21.02.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.04.2005 am 15.04.2005 begründen lassen.
Die Beklagte hält ihre betriebsbedingte Kündigung vom 30.04.2004 zum 31.10.2004 weiterhin für rechtswirksam. Sie behauptet, der Arbeitsplatz des Klägers als Leiter des Bereichs Werksengineering und Instandhaltung im Werk S sei aufgrund einer betrieblichen Umstrukturierungsmaßnahme weggefallen. Die hier relevante Umstrukturierung bestehe darin, dass das sogenannte Werksengineering nunmehr standortübergreifend für die Werke S, H und W zentral am Standort H zusammengefasst worden sei. Die Leitungsposition dieses standortübergreifenden Werksengineerings stelle im Vergleich zu der bisherigen Funktion des Klägers im Werk S eine Beförderungsstelle dar, auf die der Kläger keinen Rechtsanspruch habe. Sie sei mit 5.700,00 EUR brutto monatlich deutlich höher dotiert als die bisherige Stelle des Klägers. Auch sei der Leiter des standortübergreifenden Werksengineering unmittelbar dem Leiter Produktion und Technik der Beklagten unterstellt, wohingegen der Kläger in seiner S Funktion an den Werksleiter S berichtet habe. Die neugeschaffene Leitungsposition für das zentrale Werksengineering sei anderweitig besetzt worden.
Die Beklagte behauptet weiterhin, der Kläger sei in der von ihm zuletzt innegehabten Position als Leiter des Bereichs Werksengineering und Instandhaltung für das Werk Stolberg zu 80 % mit Engineeringprojekten ausgelastet gew...