Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung des Rechtsstreits bei nicht korrigierbarem Verfahrensmangel. Anfechtung eines ersten Versäumnisurteils mit der Berufung als nicht korrigierbarer Verfahrensmangel. Meistbegünstigungsgrundsatz im Zivilprozess
Leitsatz (amtlich)
1. Zwar ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach § 68 ArbGG eine Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Verfahren unter einem Mangel leidet, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann.
2. Ein Verfahrensfehler, der nicht mehr korrigiert werden kann, liegt vor, wenn das mit der Berufung angefochtene Urteil nicht etwa ein Zweites Versäumnisurteil sondern ein weiteres erstes Versäumnisurteil darstellt und der Kläger die Zurückverweisung beantragt hat.
Leitsatz (redaktionell)
Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz kann der Betroffene dann, wenn statt eines weiteren ersten Versäumnisurteils ein zweites Versäumnisurteil verkündet worden ist, das Versäumnisurteil mit dem Einspruch und/oder der Berufung angreifen.
Normenkette
ZPO § 514; ArbGG § 68; ZPO §§ 227, 335, 336 Abs. 1 S. 2, §§ 337, 345, 522; GKG § 21 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 19.01.2023; Aktenzeichen 12 Ca 6182/21) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 19.01.2023; Aktenzeichen 12 Ca 6182) |
Tenor
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.01.2023 - 12 Ca 6182/21 - aufgehoben.
- Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung - auch über die Kosten der Berufung - an das Arbeitsgericht Köln zurückverwiesen.
- Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgelt. Dabei geht es um die Abgeltung von Urlaub und um die Zahlung einer Coronaprämie.
Die Beklagte ist ein Logistikunternehmen mit Sitz in K . Der Kläger war seit dem 02.09.2019 bis zum 31.07.2021 bei der Beklagten beschäftigt. Er war tätig als Kraftfahrer mit Führerschein der Klasse CE. Die vom Kläger in Kopie zur Akte gereichte Arbeitsvertragsurkunde beinhaltet einige diskussionswürdige Klauseln. So gehören - hier nur beispielhaft genannt - gemäß § 2 Pkt. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages das Be- und Entladen, die Fahrzeugpflege und die Fahrzeugwartung einerseits zu den vertraglichen Pflichten des Klägers. Andererseits bestimmt § 3 Pkt. 1 des Arbeitsvertrages, dass die Ladezeiten nicht zu der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zählen solle. Als Bruttomonatsvergütung wird ein Betrag in Höhe von 2.350,00 EUR genannt. Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages sollen damit "alle (Samstags-, Sonntags, Nacht-, Feiertags- etc) Zuschläge, geleistete Überstunden und etwaige Übernachtungspauschalen abgegolten" sein. Auf den weiteren Inhalt der Arbeitsvertragsurkunde, insbesondere auf die Regelung zum Urlaub in § 12, wird Bezug genommen. Mit der Abrechnung für den Monat Juli 2021 rechnete die Beklagte eine sogenannte Corona-Prämie in Höhe von 1.500,00 EUR ab. Sie hat diesen Betrag nach dem Vortrag des Klägers aber nicht ausgezahlt.
Der Kläger hat weiter vorgetragen, die Vertragsklausel, die bestimme, dass jede vierte Woche als Erholungsurlaub zu behandeln sei, sei nach seiner Auffassung unwirksam. Denn die Klausel vermenge den Erholungsurlaub mit den notwendigen Ruhezeiten. Außerdem sei nach § 12 des Arbeitsvertrages sei nicht klar, ob die Freistellung in der jeweils 4. Woche nach dem Prinzip "3/1" eine unwiderrufliche oder eine widerrufliche Freistellung sei. Die arbeitsvertraglichen Reglungen zum Urlaub seien hiernach jedenfalls intransparent und daher unwirksam. Insgesamt sei daher davon auszugehen, dass die Freistellung nach dem arbeitsvertraglichen Modell "3/4" den Urlaubsanspruch nicht habe erfüllen können. Aus dem Jahre 2019 stehe ihm ein nicht erfüllter Anspruch auf Urlaub von 6 Tagen zu, aus dem Jahre 2020 ein nicht erfüllter Anspruch auf Urlaub von 24 Tagen und aus dem Jahre 2019 ein nicht erfüllter Anspruch auf Urlaub von 24 Tagen. Insgesamt addiere sich so ein Abgeltungsanspruch für 54 Urlaubstage. So errechne sich die Klageforderung. Die ebenfalls von ihm geforderte Zahlung einer Coronaprämie rechtfertige sich aus der zur Akte gereichten Lohnabrechnung, in der die Prämie zwar abgerechnet, aber tatsächlich nie ausgezahlt worden sei.
Am 17.11.2021 hat der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Köln erhoben. Im Gütetermin am 14.12.2021 ist der Kläger unentschuldigt nicht erschienen. Es ist daraufhin ein erstes klageabweisendes Versäumnisurteil gegen ihn ergangen. Auf seinen Einspruch vom gleichen Tag, dem 14.12.2021, hat am 23.06.2022 ein Einspruchstermin vor der Kammer stattgefunden. Zu diesem Termin sind beide Parteien erschienen und haben zur Sache verhandelt. Der Termin hat mit der Protokollierung eines widerruflichen Vergleichs sein Ende gefunden. Ein Verkündungstermin für den Fall des Widerrufs des Vergleichs ist nicht anberaumt worden. Mit Schriftsatz vom 07.07.2022 hat die Beklagte den Vergleich innerhalb der Widerrufsfris...