Entscheidungsstichwort (Thema)
Freitodklausel. Betriebliche Altersversorgung. Witwenrente
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirksamkeit und Auslegung einer sog. Freitodklausel (hier: „Bei Freitod des Anwärters wird kein Anspruch auf Witwenrente erworben”) in einer mit dem Betriebsrat vereinbarten Versorgungsordnung.
Normenkette
BetrAVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 19.08.2003; Aktenzeichen 16 Ca 1471/03) |
Tenor
Die Berufungen beider Parteien gegen das am 19.08.2003 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln – 16 Ca 1471/03 – werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die von der Klägerin begehrte Witwenrente durch eine Freitodklausel ausgeschlossen ist.
Die Klägerin ist die Witwe des am 03.11.1949 geborenen und am 06.01.2002 durch Freitod aus dem Leben geschiedenen H., der in der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 31.10.1997 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt war. Dem verstorbenen Arbeitnehmer war eine betriebliche Altersversorgung nach der mit dem Betriebsrat vereinbarten Versorgungsordnung vom 16.08.1979 zugesagt worden. Die zugesagten Leistungen umfassen nach § 3 der Versorgungsordnung Ruhegeld und Hinterbliebenenrenten. Anspruch auf Witwenrente besteht sowohl beim Tod des Anwärters (§ 11) als auch beim Tod des Ruhegeldempfängers (§ 12). In § 13 der Versorgungsordnung heißt es:
„Bei Freitod eines Anwärters wird kein Anspruch auf Witwenrente erworben.”
Bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses hatte der Ehemann der Klägerin einen unverfallbaren Teilanspruch für die Altersrente bei Erreichen der festen Altersgrenze von 65 Lebensjahren in Höhe von 493,83 DM monatlich erdient.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Ausschlussklausel in § 13 der Versorgungsordnung sei unwirksam. Sie verstoße gegen Billigkeitsgrundsätze.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes G H gemäß der Versorgungsordnung der K vom 16.08.1979 Witwenrente ab dem 01.02.2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.12.2014 eine Witwenrente zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Bestimmung des § 13 der Versorgungsordnung halte einer Billigkeitskontrolle nur teilweise Stand. Nach einer abstrakten Billigkeitskontrolle sei die Freitodklausel nur insoweit wirksam, soweit sie den Anspruch auf Witwenrente für die Zeit ausschließe, die vor dem Zeitpunkt liege, in dem der Versorgungsanwärter ohne seinen Freitod die feste Altersgrenze erreicht hätte.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin bleibt bei ihrer Ansicht, die Freitodklausel sei bei einer konkreten Billigkeitskontrolle insgesamt unwirksam. Da ihr verstorbener Ehemann nahezu 23 Jahre im Betrieb gearbeitet habe, stelle die Freitodklausel im konkreten Fall eine unbillige Härte dar.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes G H gemäß der Versorgungsordnung der K vom 16.08.1979 Witwenrente ab dem 01.02.2002 zu zahlen,
h i l f s w e i s e
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes G H gemäß der Versorgungsordnung der K vom 16.08.1979 Witwenrente ab dem 01.02.2002 in der in der Satzung vorgesehenen Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin die Klage insgesamt abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass für eine Billigkeitskontrolle kein Raum sei. § 13 der Versorgungsordnung bringe unmissverständlich zum Ausdruck, dass bei einem Freitod des Anwärters kein Anspruch auf Witwenrente erworben werde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung beider Parteien ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Freitodklausel nicht insgesamt unwirksam ist, sondern nur zu dem Ergebnis führt, dass Witwenrente nicht vorzeitig beim Tod des Anwärters, sondern erst ab dem Zeitpunkt zu zahlen ist, zu dem der Anwärter ohne seinen Freitod die feste Altersgrenze erreicht hätte. Zu diesem Ergebnis kommt das Berufungsgericht bereits im Wege der teleologischen Reduktion der Freitodklausel.
1. Die Zulässigkeit von Freitodklauseln in der betrieblichen Altersversorgung ist, soweit ersichtlich, vom BAG noch nicht entschieden worden. Im Urteil vom 29.01.1991 – 3 AZR 85/90 – (AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung) hat das BAG die Frage offengelassen. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung beurteilt sie unte...