Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung. Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliche Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums verpflichtet, eine fortbestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachzuweisen.
2. Eine auf die Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gestützte ordentliche Kündigung kann ungeachtet des Vorliegens zweier einschlägiger Abmahnungen (noch) unverhältnismäßig sein, wenn der Arbeitgeber von der ihm durch Tarifvertrag eingeräumten Befugnis, den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers durch Anordnung einer betriebsärztlichen Untersuchung nachzuprüfen, keinen Gebrauch macht.
3. Zur Begründetheit eines arbeitgeberseitigen Auflösungsantrags wegen eines die gegenseitige Vertrauensbasis zerstörenden Verhaltens des Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses.
Normenkette
KSchG §§ 1, 9-10; EFZG § 5; MTV GWI §§ 5, 8
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 16.08.2017; Aktenzeichen 19 Ca 2264/17) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.08.2017 in Sachen 19 Ca 2264/17 wird zurückgewiesen.
Auf den Auflösungsantrag der Beklagten hin wird das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Wirkung zum 31.07.2017 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 50.000,00 € zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Parteien je zur Hälfte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung vom 13.03.2017 sowie um einen erstmals in der Berufungsinstanz gestellten arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, welche die 19. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, der Klage teilweise stattzugeben und festzustellen, dass die streitige Kündigung vom 13.03.2017 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des mit der vorliegenden Berufung angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils in Sachen 19 Ca 2264/17 vom 16.08.2017 Bezug genommen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 02.10.2017 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 12.10.2017 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Frist bis zum 02.01.2018 - am 27.12.2017 begründet.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Kläger habe sich, was die Verpflichtung zur Vorlage weiterer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums angeht, allenfalls so lange auf die in Ziffer 6.4.2 des Operations Manuel A enthaltene Regelung "In case of longterm incapacity (...)" berufen können, bis sie als Arbeitgeberin durch Einzelweisungen konkretisiert und klargestellt habe, dass sie die Vorlage weiterer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erwarte. Solche klaren Einzelfallanweisungen habe sie aber mehrfach schriftlich und insbesondere in Form der Abmahnungen vom 30.11.2016 und 25.01.2017 erteilt. Nachdem der Kläger den mehrfachen Weisungen keine Folge geleistet habe, sei ihr keine andere Möglichkeit mehr geblieben, als die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen, wenn s ie nicht dauerhaft auf nachvollziehbare Informationen über die Arbeitsfähigkeit des Klägers habe verzichten wollen.
Die Beklagte vertritt ferner die Ansicht, dass damit auch die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung gegeben seien. Die grundlosen Weigerungen des Klägers, weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen, begründeten eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Verdacht zutreffe, der Kläger erfülle seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht, obwohl er arbeitsfähig ist. Wenn der Kläger selbst die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verweigere, hätte sie, die Beklagte auch keine ärztliche bzw. betriebsärztliche Untersuchung des Klägers durchführen lassen können.
Darüber hinaus macht die Beklagte nunmehr geltend, dass das Arbeitsverhältnis für den Fall, dass es bei der Unwirksamkeit der Kündigung vom 13.03.2017 bleiben sollte, hilfsweise gegen Zahlung einer Abfindung nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen sei. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr in Anbetracht der strikten Verweigerungshaltung des Klägers nicht zumutbar. Der Kläger mache durch seine Haltung deutlich, dass er grundsätzlich nicht gewillt sei, Weisungen seines Arbeitgebers nachzukommen, sofern er deren ...