Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Entfernungsanspruch. Darlegungs- und Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Zur rechtlichen Begründung des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Rücknahme und Entfernung einer ungerechtfertigten Abmahnung aus seiner Personalakte.
2. Ungerechtfertigt ist eine Abmahnung, die dem Arbeitnehmer objektiv zu Unrecht vorwirft, sich arbeitsvertragswidrig verhalten zu haben, sei es, dass die Abmahnung auf falschen Tatsachenbehauptungen beruht, oder dass sie aus zutreffenden Tatsachen objektiv falsche rechtliche Schlüsse zieht.
3. Besteht der Abmahnungsvorwurf darin, eine arbeitsvertraglich gebotene Handlung unterlassen zu haben, so umfasst die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für die Berechtigung der Abmahnung auch den Umstand, dass die Vornahme der Handlung dem Arbeitnehmer überhaupt möglich war.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1; BGB §§ 611, 1004
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 05.04.2006; Aktenzeichen 8 Ca 8301/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.04.2006 in Sachen 8 Ca 8301/05 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 23.06.2005 zurückzunehmen und ersatzlos aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechtigung einer dem Kläger erteilten Abmahnung.
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 06.04.2006 Bezug genommen.
Das Urteil des ersten Rechtszuges wurde dem Klägervertreter am 25.04.06 zugestellt. Der Kläger hat gegen dieses Urteil am 04.05.06 Berufung einlegen und diese am 16.05.06 begründen lassen.
Der Kläger macht geltend, dass die streitige Abmahnung vom 23.06.2005 zu seinen Lasten unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalte. So sei in dem Vorhalt, er habe „versuchen müssen, die Rangierabteilung durch Ziehen einer Notbremse anzuhalten,” die Tatsachenbehauptung enthalten, dass es ihm an Ort und Stelle in der konkreten Situation überhaupt möglich gewesen sei, rechtzeitig zur Verhinderung des Aufpralls eine Notbremse zu erreichen und zu betätigen. Dies sei aber in Wirklichkeit nicht der Fall gewesen. Von seinem Standort an der Spitze eines sog. Salonwagens aus habe er in dem Zeitpunkt, als für ihn erkennbar geworden sei, dass der Lokführer den Zug nicht rechtzeitig abbremste, gar nicht mehr die Möglichkeit gehabt, die sich im Inneren des Salonwagens befindliche Notbremse zu erreichen. Dies folge zum einen daraus, dass sich zwischen seinem Standpunkt und dem Standort der Notbremse eine verschlossenen Zwischentür befunden habe. Zum anderen folge dies daraus, dass auch der räumliche Abstand zwischen ihm und dem Standort der Notbremse mit mehr als 5 Metern zu groß gewesen sei, um selbst bei offener Zwischentür die Notbremse noch rechtzeitig erreichen zu können.
Schon weil der Vorwurf, keinen Versuch unternommen zu haben, die Notbremse zu betätigen, unberechtigt sei, könne die streitige Abmahnung keinen Bestand haben.
Darüber hinaus vertritt der Kläger und Berufungskläger aber auch den Standpunkt, dass auch der Vorwurf unberechtigt sei, dass er die zu hohe Geschwindigkeit der Rangierabteilung deutlich früher hätte erkennen und den Lok-Rangierführer dementsprechend früher zum Anhalten hätte auffordern müssen. Der Kläger bestreitet in diesem Zusammenhang, dass die Rangierabteilung im Zeitpunkt des Aufpralles noch eine Geschwindigkeit von 20 km/h gefahren sei. Nach seiner Schätzung könne es sich allenfalls um eine Geschwindigkeit zwischen 5 und 12 km/h gehandelt haben. Er, der Kläger, habe sich korrekt verhalten, indem er ordnungsgemäß bis zu dem Kommando „zwei Wagenlängen” heruntergezählt und dann laut und mehrfach das Haltsignal gegeben habe.
In grundsätzlicher Hinsicht beanstandet der Kläger, dass das Arbeitsgericht dem Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung einen zu engen Anwendungsbereich beigemessen habe. Der Anspruch bestehe nämlich nicht nur dann, wenn in einer Abmahnung falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt würden, sondern auch dann, wenn aus zutreffenden Tatsachen den Arbeitnehmer belastende unrichtige rechtliche Bewertungen abgeleitet würden.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 23.06.2005 zurückzunehmen, hilfsweise dem Kläger gegenüber zu widerrufen, und die Abmahnung ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die Geschwindigkeit der Rangierabteilung im Zeitpunkt des Aufpralls habe noch 20 km/h betragen. Selbst wenn der Kläger bei „zwei Längen” oder auch bei „drei Längen” das Haltesignal gegeben haben sollte, wäre dies zu spä...