Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungskündigung. Bestimmtheit. Schriftformerfordernis. Entgeltreduzierung. Sanierungskonzept. Verhältnismäßigkeitsprinzip
Leitsatz (amtlich)
1. Spricht ein Arbeitgeber zum gleichen Zeitpunkt fünf Änderungskündigungen, mit denen gemeinsam ein bestimmtes Einsparvolumen bei den Personalkosten durch Entgeltreduzierungen – u. a. bei Stundenlohn, Zuschlägen, Gratifikationen – erreicht werden soll, gegenüber jedem Arbeitnehmer aus, so genügt er dem Bestimmtheitserfordernis im Sinne von § 145 BGB, wenn in jedem Kündigungsschreiben darauf hingewiesen wird, dass neben der darin erklärten Änderungskündigung noch weitere vier Änderungskündigungen erfolgen.
2. Soweit aufgrund des Schriftformerfordernisses nach § 623 BGB der Zusammenhang aller fünf Änderungen in den Kündigungsschreiben zum Ausdruck gebracht werden muss, wird dem durch die Nummerierung der Kündigungen und den Hinweis in jedem Kündigungsschreiben auf die vier weiteren Änderungskündigungen Genüge getan.
3. Strebt der Arbeitgeber mit einer dieser Änderungskündigungen eine Vereinheitlichung der wöchentlichen Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer an, so muss er zur Darlegung der sozialen Rechtfertigung dieser Kündigung dartun, inwiefern die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit bei einem Teil der Arbeitnehmer und die gleichzeitige Verkürzung bei anderen Arbeitnehmern dem prognostizierten künftigen Beschäftigungsbedarf entspricht. Allein mit einer „positiven Auswirkung auf das Betriebsklima” kann die Veränderung der Arbeitszeit nicht gerechtfertigt werden.
4. Zudem muss er darlegen, inwiefern er sich bei den mit der Veränderung der Arbeitszeit verbundenen Entgeltreduzierungen auf das beschränkt hat, was zur Vermeidung einer – teilweisen – Betriebsstilllegung erforderlich ist. Dabei können weder die Zustimmung des Betriebsrats noch des weit überwiegenden Teils der Belegschaft (hier: 93 %) als ein aussagekräftiger Umstand dafür gelten, dass die angebotenen Änderungen zur Sanierung des Betriebes notwendig sind.
5. Zum Inhalt eines im Kündigungsschutzprozess vorgelegten, vom Arbeitgeber selbst erstellten Sanierungskonzept gehört es, jede Ertrags- und Kostenposition zu erläutern.
6. Es liegt ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig fünf gesonderte Änderungskündigungen gegenüber jedem Arbeitnehmer ausspricht, mit denen er gemeinsam ein bestimmtes Einsparvolumen bei den Personalkosten erreichen will.
Normenkette
BGB §§ 145, 623; KSchG §§ 1-2
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Urteil vom 09.11.2006; Aktenzeichen 4 Ca 2192/06) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 09.11.2006 AZ: – 4 Ca 2192/06 G – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von insgesamt 4 Änderungskündigungen vom 26. Juli 2006.
Der Kläger, geboren am 17. Oktober 1958, verheiratet, gegenüber 3 Kindern unterhaltsverpflichtet, ist bei der Beklagten seit dem 13. Juli 1987 als Maschinenführer in der Abteilung Dekoration im Dreischichtbetrieb beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung einschließlich freiwilliger Zulagen und Prämie betrug zuletzt EUR 1.877,29.
Die Beklagte, deren Komplementärin die J K-GmbH aus B ist, entwickelt und stellt Kunststoffverpackungen her, insbesondere für Molkereiprodukte, Fertiggerichte, Eis, Süßwaren und Feinkost. In ihrem Betrieb in B waren zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs 271 Arbeitnehmer beschäftigt, davon 196 Arbeiter und 75 Angestellte. Sie ist im Jahr 2001 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Der zum Zeitpunkt des Austritts geltende Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Fassung vom 1. Januar 1997 ist zum 31. Dezember 2004 ausgelaufen.
Unter dem 24. Juli 2006 erstellte die Beklagte einen Sanierungsplan, in dem es heißt, operativ seien bis auf das Kalenderjahr 2004 Verluste erzielt worden. Es seien jedes Jahr Erhaltungsinvestitionen in Höhe von etwa EUR 1,0 Millionen notwendig. Sie – die Beklagte – müsse Bankkredite in Höhe von EUR 9,0 bis 10,0 Millionen voll ausschöpfen. Sämtliche Forderungen seien an die Kreditinstitute abgetreten. Die gesamten Warenbestände seien an sie verpfändet. Das Betriebsgrundstück sei voll belastet. Da sie – die Beklagte – über keine weiteren Sicherheiten verfüge, erhalte sie keine weiteren Kredite. Den größten Anteil an den Kosten hätten die Materialkosten sowie die Personalkosten. Der Anteil der Material- einschließlich Energiekosten sei von 43,7 % im Jahr 1999 auf 53,3 % im Jahr 2005 angestiegen. Mit einem weiteren erheblichen Anstieg der Materialkosten und der Energiekosten sei in dem Geschäftsjahr 2006 auf 53,5 % und in den Geschäftsjahren 2007 und 2008 auf 54,7 % zu rechnen. Dabei habe sie eine Erhöhung der Stromkosten im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr um etwa 31 % einplanen müssen, was allein eine Mehrbelastung von EUR 478.000,00 ergeb...