Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlungsanspruch eines teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds im Bereich der Zeitungszustellung. Bestimmung der Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Zeitungszustellerin unter Berücksichtigung des Dienstleistungszwecks der Arbeitgeberin anhand der Tarifwerke für Zeitungsverlage und des Druckgewerbes
Leitsatz (amtlich)
Zum Entgeltfortzahlungsanspruch von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern gemäß §§ 611 BGB, 37 III 1 BetrVG.
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 611 Abs. 1 BGB und § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts für Zeiten einer Arbeitsbefreiung zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen war; nach § 37 Abs. 6 Satz 2 Hs. 1 BetrVG sind betriebsbedingte Gründe auch gegeben, wenn wegen Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung die Schulung des Betriebsratsmitglieds außerhalb der Arbeitszeit erfolgt.
2. Gemäß § 37 Abs. 6 Satz 2 Hs. 2 BetrVG ist der Umfang des Ausgleichsanspruchs unter Einbeziehung der Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG pro Schulungstag begrenzt auf die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten.
3. Macht eine teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin als Betriebsratsmitglied für Schulungsveranstaltungen und eine Betriebsratssitzung einen Vergütungsanspruch für insgesamt 60,5 Stunden geltend, kommt es maßgeblich darauf an, ob auf die Teilnahme an den Schulungsveranstaltungen Zeiträume entfallen, die wegen der Teilzeitbeschäftigung der Arbeitnehmerin außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit aber innerhalb der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten liegen.
4. Da eine gesetzliche Bestimmung des Begriffs der "Vollzeitbeschäftigung" nicht besteht, ist von dem allgemeinen Verständnis dieses Begriffs auszugehen, wonach ein vollzeitbeschäftigt ist, wer einen Arbeitsvertrag über die einem Arbeitstag üblicherweise entsprechende Zeit hat; die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten im Sinne von § 37 Abs. 6 S. 2 Hs. 2 BetrVG kann daher nur eine Arbeitszeit sein, deren Dauer sich im Rahmen der für Vollzeitbeschäftigte allgemein üblichen regelmäßigen Arbeitszeiten bewegt.
5. Zur Bestimmung der Vollzeitbeschäftigung können auch tarifvertragliche Festlegungen herangezogenen werden; demgegenüber können betriebliche Arbeitszeiten, die wesentlich geringer sind als in einschlägigen Tarifverträgen festgelegte regelmäßige Arbeitszeiten, nicht als Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter im Sinne von § 37 Abs. 6 S. 2 Hs. 2 BetrVG angesehen werden.
6. Sind im Betrieb der Arbeitgeberin keine Vollzeitbeschäftigten tätig, ist entsprechend der Regelung in § 2 Abs. 1 S. 4 TzBfG die Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten anhand des für den Betrieb der Arbeitgeberin fachlich geltenden Tarifvertrages und bei Fehlen eines solchen nach der Branchenüblichkeit zu bestimmen.
7. Soweit einschlägige tarifliche Arbeitszeitregelung für den Bereich der Zeitungszustellung nicht vorhanden sind und auch von einer branchenüblichen Arbeitszeitregelung für die Zeitungszustellung in Vollzeit nicht auszugehen ist, da in diesem Bereich typischerweise lediglich teilzeitbeschäftigt wird, ist der Begriff der Branchenüblichkeit nicht auf die Beschäftigtengruppe in der Zeitungszustellung zu begrenzen sondern unter Berücksichtigung des Dienstleistungszwecks der Arbeitgeberin im Falle der Hauszustellung von Druckerzeugnissen als branchenübliche Bereiche auch die der Zeitungsverlage und die des Druckgewerbes mit einzubeziehen.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 3, 3 S. 1, Abs. 6 Sätze 1, 2 Hs. 1, Abs. 6 S. 2 Hs. 2; BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 14.06.2012; Aktenzeichen 1 Ca 703/12) |
Tenor
I
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14.06.2012- 1 Ca 703/12 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 696,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 27.03.2012 zu zahlen.
2
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 18 % und die Beklagte zu 82 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 26 % und die Beklagte zu 74 %.
III
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin für von ihr in Anspruch genommene Arbeitsbefreiung zum Ausgleich für außerhalb der Arbeitszeit erfolgte Tätigkeit als Mitglied des Wahlvorstandes bzw. des Betriebsrates anlässlich von Schulungsveranstaltungen bzw. einer Betriebsratssitzung.
Die Klägerin ist seit dem 01.11.1997 als Zustellerin der durch die Beklagte vertriebenen Druckerzeugnisse beschäftigt. Gemäß § 3 Nr. 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien vom 11.11.1997 hat die Klägerin die Druckerzeugnisse an jedem Erscheinungstag bis spätestens 06:30 Uhr in dem ihr zugeordneten Zustellbezirk zuzustellen. Ihre regelmäßige Arbeitszeit lieg...