Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Sozialplans. Funktion eines konzerninternen Stellenmarktes ("Clearing") wegen Standortschließungen. Zielsetzung einer Umzugskostenpauschale im Rahmen eines einvernehmlichen Standortwechsels. Entscheidung des Arbeitgebers über Schließung des "Clearings" unter Beachtung billigen Ermessens. Zweckbindung der Umzugskostenpauschale für Versetzungen im Rahmen des "Clearings". Keine Kausalität zwischen Beendigungskündigungen und Versetzungen nach Schließung des "Clearings". Analoge Anwendung einer Sozialplanvorschrift

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sehen die Betriebsparteien eines Luftfahrtunternehmens im Sozialplan anlässlich einer Standortschließung die Einrichtung eines konzerninternen Stellenmarktes vor (hier: "Clearing"), so folgt daraus zunächst nur der Anspruch der Beschäftigten, sich als Stellenbewerber melden zu können.

2. Wenn der Sozialplan denjenigen Beschäftigten, die aufgrund eines solchen Clearings als Bewerber auftreten und mit einem Standortwechsel einverstanden sind, eine Umzugskostenpauschale verspricht, deren Betrag über die im Übrigen vorgesehene Umzugskostenerstattung deutlich hinausgeht, so kommt der Zahlung neben dem Zweck, tatsächliche entstandene Nachteile zu kompensieren, auch der Zweck zu, das Engagement der Beschäftigten im Bewerbungsverfahren und die Freiwilligkeit des Standortwechsels zu fördern.

3. Soweit im Sozialplan und in den in Bezug genommenen konzernweiten Regelungen nichts Abweichendes vereinbart worden ist, ist es die Arbeitgeberin, die unter Beachtung des hierfür vereinbarten Verfahrens und unter Beachtung billigen Ermessens über die Schließung des Clearings entscheidet. Dabei erscheint die Schließung nicht ermessensfehlerhaft, wenn pandemiebedingt fast alle Flugzeuge am Boden sind, wenn für große Teile der Belegschaft Kurzarbeit vereinbart ist und wenn es nicht absehbar ist, wann sich dies alles ändern wird.

4. Sieht der Sozialplan zur Umsetzung der Standortschließung mehrere einvernehmliche Maßnahmen mit jeweils spezifischen Abfindungs-, Kostenübernahme- und Einmalzahlungen vor (rentenferne und rentennahe Aufhebungsverträge; Altersteilzeit, Vermittlung aus dem Konzern heraus, HUB-Wechsel, Boden-Bord-Wechsel, Qualifizierung, Arbeitsplatzwechsel in Folge struktureller Anpassung, Clearing), so kommt die für die Versetzung im Rahmen des Clearings geregelte Umzugskostenpauschale nicht als "Auffangtatbestand" für Maßnahmen und Vereinbarungen außerhalb des Clearings in Betracht.

5. Wenn die Arbeitgeberin nach Schließung des Clearings eine offensichtlich unwirksame Beendigungskündigung ausspricht, so hat dies im konkreten Fall für das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs auf Umzugskostenpauschale aus dem Sozialplan oder aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes keine Relevanz. Gleiches gilt, wenn Monate später und lange nach Schließung des Clearings eine Versetzung erfolgt, die einen Anspruch auf Umzugskostenpauschale ausgelöst hätte, wenn sie im Rahmen des Clearings vereinbart worden wäre.

Führendes Verfahren zu diversen Parallelverfahren mit gleichlautenden Entscheidungen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach den Grundsätzen der Auslegung abstrakt-genereller Vorschriften gilt für einen Sozialplan, dass es ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung ankommt. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen, d.h. sozialplan-konformen Verständnis der Regelung führt.

2. Die analoge Anwendung einer Sozialplanvorschrift ist nur möglich, wenn der Sozialplan eine planwidrige Regelungslücke enthält, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen der Betriebsparteien als planwidrige Lücke aufgefasst und im Wege der Rechtsfortbildung von den Gerichten ausgefüllt werden. Die Lücke muss sich aus dem unbeabsichtigten Abweichen des Normgebers (also der Betriebsparteien) von seinem dem konkreten Sozialplanverfahren zugrundeliegenden Regelungsplan ergeben.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 280; BetrVG § 76; GG Art. 3; BetrVG § 95 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Aktenzeichen 14 Ca 2450/22)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln teilweise abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die klagende Partei zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine pauschale Einmalzahlung im Zusammenhang mit der Änderung des Arbeitsortes.

Die Beklagte ist die größte deutsche Fluggesellschaft, die Drehkreuze (sog. HUBs) in F und M unterhält. Bisher betrieb sie darüber hinaus acht sogenannte dezentrale Stationen in B , Br , H , Ha , D , K , N und S .

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, wie auch mehrerer Dutzend paralleler Berufungsverfahren vor dem Landes...

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