Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage eines Auszubildenden. Durchführung des Verfahrens vor einem zur Beilegung von Streitigkeiten gebildeten Ausschuss. Rechtsfolgen der Ablehnung des Ausschusses, das Verfahren durchzuführen. Geltung einer Frist für die Anrufung des Ausschusses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden aus einem bestehenden Ausbildungsverhältnis, zu denen auch Streitigkeiten über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses gehören, ist gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG vor der Klage zunächst das Verfahren vor einem zur Beilegung dieser Streitigkeiten gebildeten Ausschuss durchzuführen, sofern bei der zuständigen Handwerksinnung oder einer anderen Stelle im Sinne des Berufsbildungsgesetzes ein solcher Ausschuss besteht. Gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG handelt es sich bei dieser vorgeschalteten Verhandlung vor dem Ausschuss um eine Prozessvoraussetzung für die Klage.

2. Die Ablehnung des Ausschusses, das Verfahren durchzuführen, ist ebenso zu behandeln wie das Fehlen eines entsprechenden Ausschusses. In beiden Fällen kann der Auszubildende Klage vor den Gerichten für Arbeitssachen erheben. Dies gilt unabhängig davon, ob die vom Ausschuss vertretene Rechtsauffassung zutreffend ist.

3. Die Klagefrist des § 4 KSchG ist auf das Verfahren vor dem Ausschuss weder unmittelbar noch analog anzuwenden.

4. Die Frage, ob ein Auszubildender das Recht, die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen einer verzögerten Anrufung des Ausschusses geltend zu machen, verwirkt hat, ist nach "allgemeinen Regeln" zu prüfen. Es kann nicht angenommen werden, dass regelmäßig von einer Verwirkung auszugehen ist, wenn der Schlichtungsausschuss später als drei Wochen nach Zugang der Kündigung angerufen worden ist.

 

Normenkette

ArbGG § 111 Abs. 2 S. 5; KSchG § 4; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Entscheidung vom 11.12.2013; Aktenzeichen 2 Ca 1909/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.07.2015; Aktenzeichen 6 AZR 490/14)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 11. Dezember 2013 - 2 Ca 1909/13 - teilweise abgeändert:

    Der auf Erteilung einer Brutto/Nettoabrechnung gerichtete Antrag wird abgewiesen.

  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  • IV.

    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für die Klägerin wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung im Ausbildungsverhältnis und daraus resultierende Annahmeverzugsansprüche der Klägerin.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Juni 2010 als Auszubildende zur Zahnmedizinischen Fachangestellten zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 640,00 EUR beschäftigt. Nach § 1 des Vertrages sollte das Ausbildungsverhältnis am 30. Juni 2013 enden. Gemäß § 7 Abs. 3 muss eine Kündigung nach Ablauf der Probezeit unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. § 9 sieht unter der Überschrift "Beilegung von Streitigkeiten" vor, dass bei Streitigkeiten aus dem bestehenden Berufsausbildungsverhältnisses vor Inanspruchnahme des Arbeitsgerichts der nach § 111 Abs. 2 ArbGG errichtete Güteausschuss der Zahnärztekammer Nordrhein anzurufen ist. § 5 Abs. 2 der Satzung des Güteausschusses bestimmt, dass der Antrag bei der Geschäftsstelle der Kammer schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll zu geben ist.

Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom18. April 2013 fristlos, ohne in dem Kündigungsschreiben Kündigungsgründe zu benennen. Die Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, die Klägerin habe die Kündigung am Sonntag, dem 21. April 2013, erhalten. Auf Nachfrage des Gerichts in der Kammerverhandlung vom 21. Mai 2014 haben die Parteien erklärt, die Kündigung sei per Einschreiben erfolgt. Die Klägerin hat angegeben, sie habe das Einschreiben am 22. April 2013 von der Post abgeholt.

Die Klägerin nahm nach Erhalt der Kündigung zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt telefonisch Kontakt mit der Zahnärztekammer Nordrhein auf. Nach ihren Angaben riet ihr Frau W , schriftlich Widerspruch gegen die Kündigung einzureichen.

Die Klägerin wandte sich mit nicht unterzeichnetem Schreiben vom8. Mai 2013 an den Güteausschuss. Wegen des Inhalts des Schreibens, welches am 14. Mai 2013 bei der Zahnärztekammer Nordrhein einging, wird auf die Kopie Bl. 73 d.A. Bezug genommen.

Frau W telefonierte nach dem 14. Mai 2013, aber vor dem 5. Juni 2013, mit der Beklagten und riet ihr zur Rücknahme der Kündigung und zur Weiterbeschäftigung der Klägerin. Dies lehnte die Beklagte ab. Mit Schreiben vom 5. Juni 2013 begründete sie gegenüber der Zahnärztekammer Nordrhein die Kündigung.

Die Klägerin legte am 7. Juni 2013 die praktische und mündliche Prüfung ab. Unter dem 11. Juni 2013 (Kopie des Schreibens Bl. 9 f. d.A.) teilte Frau W der Klägerin mit, dass der Güteausschuss in ihrer Angelegenheit nicht zusammenkommen werde...

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