Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzeröffnungsverfahren. Nachteilsausgleich. Betriebschließung. Masseforderung
Leitsatz (amtlich)
1. Beschließen der vorläufige Insolvenzverwalter und der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin im Insolvenzeröffnungsverfahren die vollständige Betriebsstilllegung, so sind die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen nicht deshalb unwirksam, weil der Geschäftsführer den geheimen Vorbehalt hegte, unter Entwendung eines Teils der Betriebsmittel eine Betriebsabteilung fortzuführen.
2. Eine Betriebsstilllegung löst dann den Anspruch aus § 113 BetrVG aus, wenn so viele Kündigungen ausgesprochen sind, dass der Betrieb ohne Zustimmung der Belegschaft nicht mehr fortgeführt werden kann und der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nicht mehr zur Betriebsfortführung führen könnte.
3. Der Anspruch aus § 113 BetrVG stellt eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung dar, wenn die Stilllegung des Betriebs vor Insolvenzeröffnung begonnen wurde.
4. § 55 Abs. 2 InsO kommt auch nicht analog zur Anwendung, wenn ein sog. schwacher Insolvenzverwalter mit partieller Ermächtigung zur Alleinvertretung tatsächlich nicht alleine gehandelt hat, sondern die Kündigungen vom Geschäftsführer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochen wurden.
Normenkette
BetrVG § 113; InsO § 55
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Aktenzeichen 2 Ca 1346/00) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Frage, ob es sich bei einem dem Grunde nach unstreitigen, aus § 113 BetrVG hergeleiteten Anspruch der Klägerin auf Nachteilsausgleich um eine Insolvenzforderung oder eine Masseforderung handelt. Zusätzlich ist die Höhe dieses Anspruchs, soweit er 5.000,00 DM überschreitet zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin war seit dem 18.09.1985 Arbeitnehmerin der Gemeinschuldnerin. Ihr durchschnittliches Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt 2.690,76 DM. Bis zum 25. 11.2001 hatte die Klägerin Erziehungsurlaub beantragt.
Ende 1999 wurde das Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, deren Insolvenzverwalter der jetzige Beklagte ist, eingeleitet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 (AZ: 99 IN 154/99) wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In dem Beschluss wurde einerseits angeordnet, dass die Gemeinschuldnerin nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam über ihr Vermögen verfügen kann (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde ausdrücklich nicht als allgemeiner Vertreter der Gemeinschuldnerin eingesetzt. Allerdings wurde er ermächtigt, auch allein mit rechtlicher Wirkung für die Gemeinschuldnerin zu handeln, wobei er verpflichtet wurde, von dieser Ermächtigung nur in dringend erforderlichen Fällen Gebrauch zu machen.
Am 18.01.2000 beschlossen der Geschäftsführer der Schuldnerin und der Beklagte als deren vorläufiger Insolvenzverwalter die Betriebsstilllegung. Hiervon wurde der Betriebsrat am darauffolgenden Tag unterrichtet. Ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat konnte nicht erzielt werden. Der Betriebsrat unterlag auch in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem der drohende Ausspruch der Kündigungen verhindert werden sollte. Mit Schreiben vom 27.01.2000 wurde den Mitarbeitern, deren Kündigung keinem Zustimmungsvorbehalt unterlag, die Kündigung durch die Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten ausgesprochen. Vorangegangen war eine schriftliche Kündigungsanhörung des Betriebsrats. Am 01.02.2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bestellt. Nach der Insolvenzeröffnung einigten sich der Betriebsrat und der Beklagte auf einen Sozialplan. Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 25.02.2000 mit Zustimmung der Bezirksregierung durch den Beklagten gekündigt. Derzeit ist das Verfahren nicht massearm. Auf die Insolvenzforderungen können voraussichtlich 10 % geleistet werden.
Der Betrieb ist zwischenzeitlich vollständig stillgelegt worden. Nach der Stilllegung der Verwaltungsabteilung zum 31.05.2000 fand keine betriebliche Tätigkeit mehr statt.
Die Klägerin hält den dem Grunde nach unstreitigen Anspruch aus § 113 BetrVG für eine Masseforderung im Sinne des § 55 InsO.
Dies folge daraus, dass das Arbeitsverhältnis erst nach Insolvenzeröffnung ende und unter Entlassung im Sinne des § 113 BetrVG die Einstellung der Arbeit anzusehen sei. Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folge, sei jedenfalls wegen der im Bestellungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 enthaltenen Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur alleinigen Handlung für die Schuldnerin in dringenden Fällen § 55 Abs. 2 InsO analog anzuwenden, so dass es sich auch aus diesem Grunde bei der Nachteilsausgleichforderung um eine Masseverbindlichkeit handeln müsse.
Hinsichtlich der Höhe der Nachteilsausgleichsforderung setzt die Klägerin für jedes Beschäftigungsjahr ein Bruttogehalt an, begrenzt durch die Höchstbetragsregel...