Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzeröffnungsverfahren. Nachteilsausgleich. Betriebschließung. Masseforderung
Leitsatz (amtlich)
1. Beschließen der vorläufige Insolvenzverwalter und der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin im Insolvenzeröffnungsverfahren die vollständige Betriebsstilllegung, so sind die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen nicht deshalb unwirksam, weil der Geschäftsführer den geheimen Vorbehalt hegte, unter Entwendung eines Teils der Betriebsmittel eine Betriebsabteilung fortzuführen.
2. Eine Betriebsstilllegung löst dann den Anspruch aus § 113 BetrVG aus, wenn so viele Kündigungen ausgesprochen sind, dass der Betrieb ohne Zustimmung der Belegschaft nicht mehr fortgeführt werden kann und der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nicht mehr zur Betriebsfortführung führen könnte.
3. Der Anspruch aus § 113 BetrVG stellt eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung dar, wenn die Stilllegung des Betriebs vor Insolvenzeröffnung begonnen wurde.
4. § 55 Abs. 2 InsO kommt auch nicht analog zur Anwendung, wenn ein sog. schwacher Insolvenzverwalter mit partieller Ermächtigung zur Alleinvertretung tatsächlich nicht alleine gehandelt hat, sondern die Kündigungen vom Geschäftsführer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochen wurden.
Normenkette
BetrVG § 113; InsO § 55
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Urteil vom 04.10.2000; Aktenzeichen 2 Ca 401/00) |
Nachgehend
Tenor
Sowohl die Berufung des Klägers als auch die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.10.2000 – 2 Ca 401/00 – werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer dem Kläger am 27.01.2000 durch den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochenen betriebsbedingten fristgerechten Kündigung, um die Wirksamkeit einer weiteren, dem Kläger am 14.02.2000, durch den Insolvenzverwalter ausgesprochenen Kündigung mit dreimonatiger Kündigungsfrist sowie um die Frage, ob es sich bei einem dem Grunde nach unstreitigen, aus § 113 BetrVG hergeleiteten Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich um eine Insolvenzforderung oder eine Masseforderung handelt. Zusätzlich ist die Höhe dieses Anspruchs, soweit er 35.529,00 DM überschreitet zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger. Vorsitzender des Betriebsrates der Gemeinschuldnerin, 54 Jahre alt, war seit dem 01.02.1979 Arbeitnehmer der Beklagten. Sein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt 5.921,50 DM.
Ende 1999 wurde das Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, deren Insolvenzverwalter der jetzige Beklagte ist, eingeleitet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 (AZ: 99 IN 154/99) wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In dem Beschluss wurde einerseits angeordnet, dass die Gemeinschuldnerin nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam über ihr Vermögen verfügen kann (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde ausdrücklich nicht als allgemeiner Vertreter der Gemeinschuldnerin eingesetzt. Allerdings wurde er ermächtigt, auch allein mit rechtlicher Wirkung für die Gemeinschuldnerin zu handeln, wobei er verpflichtet wurde, von dieser Ermächtigung nur in dringend erforderlichen Fällen Gebrauch zu machen.
Am 18.01.2000 beschlossen der Geschäftsführer der Schuldnerin und der Beklagte als deren vorläufiger Insolvenzverwalter die Betriebsstilllegung. Hiervon wurde der Betriebsrat am darauffolgenden Tag unterrichtet. Ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat konnte nicht erzielt werden. Der Betriebsrat unterlag auch in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem der drohende Ausspruch der Kündigungen verhindert werden sollte. Mit Schreiben vom 27.01.2000 wurde dem Kläger wie auch den weiteren Mitarbeitern, deren Kündigung keinem Zustimmungsvorbehalt unterlag, die Kündigung durch die Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten ausgesprochen. Vorangegangen war eine schriftliche Kündigungsanhörung des Betriebsrats. Am 01.02.2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bestellt. In dieser Eigenschaft kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.02.2000 erneut, nachdem er bezugnehmend auf die Betriebsratsanhörung von Januar 2000 den Betriebsrat erneut hierzu angehört hatte.
Nach der Insolvenzeröffnung einigten sich der Betriebsrat und der Beklagte auf einen Sozialplan. Derzeit ist das Verfahren nicht massearm. Auf die Insolvenzforderungen können voraussichtlich 10 % geleistet werden.
Der Betrieb ist zwischenzeitlich vollständig stillgelegt worden. Nach der Stilllegung der Verwaltungsabteilung zum 31.05.2000 fand keine betriebliche Tätigkeit mehr statt.
Am 28.01.2000, noch vor Insolvenzeröffnung, versuchte de...