Entscheidungsstichwort (Thema)

Klima der Angst am Arbeitsplatz. Zusammenarbeit mit Frauen. Ankündigung von Fehlverhalten. Außerordentliche und ordentliche Kündigung. Auflösungsantrag des Arbeitgebers. Schweigepflicht des Betriebsarztes. Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Anwendung milderer Mittel

 

Leitsatz (amtlich)

Allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sich mehrfach an die Personalabteilung bzw. den Betriebsarzt wendet, um diesen Institutionen mitzuteilen, dass er gegenüber einer bestimmten Fachvorgesetzten "ein sehr hohes Aggressionspotential in sich trage", rechtfertigt noch nicht den Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 611 Abs. 1, § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 17.02.2012; Aktenzeichen 1 Ca 6522/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.02.2012 in Sachen1 Ca 6522/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Der arbeitgeberseitige Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen fristgerechten arbeitgeberseitigen Kündigung und einen in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellten arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, dem Kündigungsschutzantrag stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 17.02.2012 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 07.03.2012 zugestellt. Sie hat hiergegen am 21.03.2012 Berufung eingelegt und diese- nach entsprechender Verlängerung der Frist - am 21.05.2012 begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei entgegen der Darstellung des Arbeitsgerichts verhältnismäßig. Der Konflikt konzentriere sich nicht auf Frau W , sondern auf sämtliche weiblichen Vorgesetzten und wahrscheinlich auch auf sämtliche weiblichen Mitarbeiter. Der Kläger sei offensichtlich außerstande, mit weiblichen Vorgesetzten zusammenzuarbeiten, ohne dass es ständig zu Konfliktsituationen komme, die nicht nur das Betriebsklima erheblich beeinträchtigten, sondern auch eine Gefährdungssituation für diese Mitarbeiter hervorriefen. Das bestehende Problem strahle in den Betriebsablauf aus und schade diesem, da es ein Klima der Angst entstehen lasse.

Das Arbeitsgericht habe unberücksichtigt gelassen, in welcher Abfolge der Kläger selbst bei der Personalabteilung vorstellig geworden sei und die Gefährdungssituation bestätigt habe, dann aber den Betriebsarzt nicht von der Schweigepflicht entbunden habe. Der Beklagten hätten somit keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden. Ihr sei es auch nicht zumutbar gewesen, in einem solchen Fall ein Deeskalationsmanagement oder ein Mediationsverfahren durchzuführen. Schon gar nicht könnten die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement im Hinblick auf eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast entsprechend angewandt werden. Eine Umsetzung des Klägers in andere Arbeitsbereiche hätte an der Grundproblematik nichts geändert. Insbesondere im Transportbereich hätte der Kläger in Person der stellvertretenden Leiterin Frau H ebenfalls eine weibliche Vorgesetzte gehabt.

Die fristlose Kündigung sei somit wirksam, jedenfalls aber die fristgerechte Kündigung sozial gerechtfertigt. Äußerst hilfsweise sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, da eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht zu erwarten sei.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.02.2012,1 Ca 6522/11, aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen;

hilfsweise:

das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nach§§ 9, 10 KSchG zum 30.09.2011 gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte bewertet das arbeitsgerichtliche Urteil als uneingeschränkt richtig. Der Kläger und Berufungsbeklagte weist darauf hin, dass die Beklagte keinerlei konkrete Anlässe dafür vorgetragen habe, weswegen sich Frau W oder andere weibliche Vorgesetzte bedroht "gefühlt" hätten, so dass ein "Klima der Angst" habe entstehen können. Die Behauptung, er, der Kläger, habe geäußert, dass er Frau W gegenüber "ein hohes Aggressionspotential" in sich trage, sei nicht authentisch, wie die Beklagte nunmehr selbst einräume, wenn sie zugebe, er, der Kläger, habe dies "mit seinen eigenen Worten" zum Ausdruck gebracht. In Wirklichkeit habe er, der Kläger, gerade geäußert, dass er Frau W nicht körperlich attackieren werde, was die Beklagte so auch korrekt in ihrer Betriebsra...

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