Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansprüche eines schwerbehinderten Bewerbers bei Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch bei einem öffentlichen Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Bereits mit der Nichteinladung des schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch bei einem öffentlichen Arbeitgeber entgegen dessen Pflicht aus § 82 Satz 2 SGB IX a.F. (jetzt § 165 Satz 3 SGB IX) ist die behinderungsbedingte Verletzung des Bewerberverfahrensanspruchs eingetreten.
2. Sind die Chancen eines schwerbehinderten Bewerbers bereits durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden, kommt es nicht mehr darauf an, ob die (Schwer-)Behinderung bei der abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat.
3. Da mit dem vollendeten Eintritt der Benachteiligung im Bewerbungsverfahren der Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG schon dem Grunde nach entstanden ist, kommt es auf eine Beweislastumkehr im Sinne des § 22 AGG nicht an.
4. Da der Entschädigungsanspruch verschuldensunabhängig ist, ist ein ggfls. vorliegendes Mitverschulden des Bewerbers für die Anspruchsentstehung grundsätzlich ohne Bedeutung, wenn auch möglicherweise bei der Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruchs relevant.
5. Wird eine ordnungsgemäß dem Arbeitgeber zugegangene Bewerbung eines Schwerbehinderten verloren, gelöscht oder aus ähnlichen Gründen vom Arbeitgeber nicht wahrgenommen, existiert bei der Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers mit Blick auf diesen Bewerber kein “Motivbündel„ und damit auch kein Teil desselben, der diskriminierend oder nichtdiskriminierend hätte sein können. Deshalb kann es auch keine sachlichen Gründe geben, mit denen der Arbeitgeber den Gegenbeweis nach § 22 AGG versuchen könnte.
6. Ein öffentlicher Arbeitgeber kann sich bei einer Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch zur Entlastung nach § 22 AGG nicht darauf berufen, er habe seine behördeninternen Abläufe so schlecht organisiert, dass den sorgfältig ausgebildeten und geschulten Mitarbeitern wiederholt Bewerbungen abhandenkommen können.
Normenkette
SGB IX a.F. § 82; SGB IX § 165
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 20.12.2017; Aktenzeichen 2 Ca 1016/17) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.12.2017 - 2 Ca 1016/17 - teilweise abgeändert
- Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 3.717,20 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2016.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien jeweils zur Hälfte zu tragen.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Entschädigung wegen behinderungsbedingter Benachteiligung.
Der Kläger bewarb sich Anfang August 2015 beim beklagten Land auf eine für den OLG-Bezirk K ausgeschriebene Stelle. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf die Tatsache versehen, dass er bei einem GdB 30 einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist. Seine fachliche Eignung für die Stelle fehlt nicht “offensichtlich„ im Sinne des § 82 Satz 2 SGB IX a.F. (jetzt: § 165 Satz 3 SGB IX n.F.). Entgegen der aus dieser Vorschrift folgenden Verpflichtung lud ihn das beklagte Land nicht zum Vorstellungsgespräch ein. Mit Schreiben vom 14.12.2015 forderte der Kläger das beklagte Land auf, an ihn eine Entschädigung in Höhe von 7.434,39 EUR zu zahlen. Dies entspricht der dreifachen Monatsbesoldung nach der für die ausgeschriebene Stelle einschlägigen Besoldungsgruppe A8. Das OLG K wies dies mit Schreiben vom 22.12.2015 zurück.
Am 11.03.2016 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Aachen Klage auf Zahlung der begehrten Entschädigung mit der Begründung erhoben, ihm stehe gemäß § 15 Abs. 2 AGG ein solcher Anspruch zu, weil er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei und das beklagte Land deshalb gegen ein Benachteiligungsverbot verstoßen habe. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 19.01.2017 den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Köln verwiesen.
Im Rahmen eines vergleichbaren Verfahrens hinsichtlich einer Stelle beim OLG D erhielt der Kläger zwischenzeitlich eine Entschädigung in Höhe von 3.975,00 EUR.
Das beklagte Land hat vorgetragen, eine Benachteiligung des Klägers sei nicht beabsichtigt gewesen. Durch ein schnell überlaufendes Outlook-Postfach und durch eine Ungenauigkeit in der Absprache der Mitarbeiter, die mit der Bearbeitung der Bewerbungen befasst gewesen seien, sei die Bewerbung des Klägers leider nicht in den Geschäftsgang gelangt. Die Zeuginnen G und R hätten vereinbart, dass die Zeugin R zunächst die ungelesenen Bewerbungs-Emails ausgedruckt, erfasst und in den Geschäftsgang zu geben habe; die Zeugin G habe sodann die Aufgabe gehabt, die als gelesen markierten Emails zur Entlastung des Eingangs-Postfaches in einen weiteren Ordner zu verschieben. Der Zeuge P , der von dieser Abspra...