Entscheidungsstichwort (Thema)

Billiges Ermessen bei Leistungsbestimmungsrecht. Zeitpunkt der Verzinsung von Ansprüchen auf Betriebsrente. Anwendbarkeit der Rechtsprechung zu § 16 BetrAVG nur bei Gestaltungsurteilen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sieht die Regelung in dem Paragraphen einer Versorgungsordnung unter seiner Nr. 1 vor, dass die Renten jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden und unter Nr. 4 desselben Paragraphen, dass dann, wenn der Vorstand die Anpassung nach Nr. 1 "nicht für vertretbar" "hält", er nach Anhörung der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vorschlägt, was nach seiner Auffassung geschehen soll, so handelt es sich hierbei um ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, das tatbestandlich nur eröffnet ist, wenn die Anpassung der Rente nach der Versorgungsordnung entsprechend der gesetzlichen Renten aufgrund objektiver Umstände "nicht vertretbar" ist. Das Leistungsbestimmungsrechts muss billigem Ermessen entsprechen (im Anschluss an BAG 25.09.2018- 3 AZR 402/17 - und 11.04.2019 - 3 AZR 146/18).

2. Die Beklagte hat - wie in mehreren Parallelfällen zuvor (LAG Rheinland-Pfalz 13.02.2020 - 5 Sa 244/19; 24.09.2019 - 6 Sa 384/17; LAG Hamburg 10.10.2019- 8 Sa 66/17; 21.06. 2019 - 7 Sa 92/18) - nicht ausreichend konkret vorgetragen, dass diese Voraussetzungen gegeben sind.

3. Die zu § 16 BetrAVG ergangene Rechtsprechung des BAG zur Verwirkung des Rügerechts und des Klagerechts ist auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation nicht anwendbar.

4. Der Kläger kann eine Verzinsung seiner Ansprüche nicht erst ab Rechtskraft des Urteils verlangen, sondern bereits ab dem Zweiten (oder der Folgetage) des jeweiligen Folgemonats.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 315; BetrAVG § 16; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 16.01.2020; Aktenzeichen 2 Ca 4083/18)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.01.2020 - 2 Ca 4083/18 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.01.2020- 2 Ca 4083/18 - teilweise abgeändert.

  • III.

    Der Tenor wird zur Klarstellung insgesamt wie folgt( neu) gefasst:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 192,84 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 16,07 EUR brutto seit dem 02.07.2015, 04.08.2015, 02.09.2015, 02.10.2015, 03.11.2015, 02.12.2015, 05.01.2016, 02.02.2016, 02.03.2016, 02.04.2016, 03.05.2016 sowie dem 02.06.2016 zu zahlen.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 890,16 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 74,18 EUR brutto seit dem 02.07.2016, 02.08.2016, 02.09.2016, 05.10.2016, 03.11.2016, 02.12.2016, 03.01.2017, 02.02.2017, 02.03.2017, 04.04.2017, 03.05.2017 sowie dem 02.06.2017 zu zahlen.
    3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 908,04 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 219,72 EUR (*) brutto seit dem 04.07.2017, 02.08.2017, 02.09.2017, 03.10.2017, 03.11.2017, 02.12.2017, 03.01.2018, 02.02.2018, 02.03.2018, 04.04.2018, 03.05.2018 sowie dem 02.06.2018 zu zahlen.
    4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 937,32 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 78,11 EUR brutto seit dem 03.07.2018, 02.08.2018, 04.09.2018, 02.10.2018, 03.11.2018, 04.12.2018, 02.01.2019, 02.02.2019, 02.03.2019, 02.04.2019, 03.05.2019 sowie dem 04.06.2019 zu zahlen.
    5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.288,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 107,35 EUR brutto seit dem 02.07.2019, 02.08.2019, 03.09.2019, 02.10.2019, 05.11.2019, 03.12.2019, 03.01.2020, 04.02.2020, 03.03.2020, 02.04.2020, 05.05.2020 sowie dem 02.06.2020 zu zahlen.
    6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 332,55 EUR brutto nebst Zinsen aus jeweils 110,85 EUR brutto in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.07.2020, 04.08.2020 sowie dem 02.09.2020 zu zahlen.
    7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem 01.10.2020 über den unstreitig monatlich mindestens zu zahlenden Betrag von 1.702,85 EUR hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 110,85 EUR brutto zu zahlen.
    8. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
    9. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Anpassung einer dem Kläger von der Beklagten gewährten betrieblichen Altersversorgung für die Jahre 2015 bis 2020.

Der am 1952 geborene Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin vom 1. April 1984 bis zum 31. Januar 2014 angestellt. Seit dem1. Februar 2014 bezieht er Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von der Beklagten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem am 8. Juli 1987 abgeschlossenen und zum 1. April 1985 in Kraft getretenen "Tarifve...

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