Entscheidungsstichwort (Thema)
Kalkulationsirrtum. gerichtlicher Vergleich. Auswirkungen eines Kalkulationsirrtums auf einen gerichtlichen Vergleich
Leitsatz (amtlich)
1) Zum Begriff des "offenen Kalkulationsirrtums" und seinen Folgen für einen gerichtlichen Vergleich.
2) Zu den Folgen eines gemeinsamen Kalkulationsirrtums für einen gerichtlichen Vergleich.
Normenkette
BGB §§ 119, 122 Abs. 2, §§ 313, 779
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 20.11.2012; Aktenzeichen 5 Ca 3682/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 20.11.2012 - 5 Ca 3682/11 d - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Rechtsstreit, in dem der Kläger sowohl Kündigungsschutzanträge gestellt als auch Zahlungsforderungen geltend gemacht hatte, durch einen gerichtlichen Vergleich vom 03.04.2012 (Text Bl. 50 d. A.) wirksam beendet worden ist oder ob der Kläger durch Fortsetzung des Verfahrens noch mit Erfolg die ursprünglichen Feststellungs- und Zahlungsanträge geltend machen kann.
Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 03.04.2012 beendet worden ist.
Gegen dieses ihm am 06.12.2012 zugestellten Urteil hat der Kläger am 04.01.2013 Berufung eingelegt und diese am 01.02.2013 begründet.
Wegen des Inhalts der Berufungsbegründung wird auf Bl. 96 ff. d. A. Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
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das Verfahren fortzusetzten,
2
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 26.09.2011 beendet worden ist,
3
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu zahlen: 1.425,70 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011,342,97 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011 sowie weiterer 1.004,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2011,
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den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 865,80 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2011,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 17.11.2011, zugegangen am 21.11.2011, zum 30.11.2011 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31.12.2011 fortbestanden hat.
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Insoweit wird auf seine Berufungserwiderung (Bl. 108/109 d. A.) Bezug genommen.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätzen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klageanträge könnten im vorliegenden Verfahren allenfalls dann Erfolg haben, wenn der Vergleich ursprünglich rechtsunwirksam wäre oder rückwirkend rechtsunwirksam geworden wäre, in dem der Kläger ein entsprechendes Gestaltungsrecht wirksam ausgeübt hätte.
I. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. hier schon BAG 20.06.1969 - 2 AZR 287/67 - mit Nachweisen zur ganz herrschenden Lehre und zur Rechtsprechung des BGH) ist der Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs grundsätzlich in demselben Verfahren, in dem der Prozessvergleich abgeschlossen worden ist und nicht in einem neuen Prozess auszutragen. Dieses gilt nach der Rechtsprechung des BAG dann, wenn die Unwirksamkeit des Vergleichs und damit das Fehlen seiner prozessbeendenden Wirkung nach § 779 BGB oder auf Grund einer Anfechtung geltend gemacht wird (BAG a.a.O.). In diesem Fall ist die materiell-rechtliche Seite des Prozessvergleichs von vornherein unwirksam oder sie wird später mit rückwirkender Kraft hinfällig, sodass die prozessuale Seite und damit der gesamte Vergleich als Prozessvergleich ebenfalls schlechthin wirkungslos sind (BAG a.a.O.). Das Bundesarbeitsgericht hat in derselben Entscheidung grundliegend entschieden, dass Fälle der Anfechtung und des § 779 BGB nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu übertragen sind (dazu noch unten).
II. Der Kläger beruft sich für seine Rechtsansicht, dass das vorliegende Verfahren mit den ursprünglichen Klageanträgen fortzusetzten sei, darauf, dass - wie er es erstinstanzlich ausdrücklich formuliert hat - bei Vergleichsschluss "allseitig über einen für die Willensbildung wesentlichen Umstand geirrt worden" ist (Bl. 57 d. A.). Hierzu trägt er - unstreitig - vor, dass in der Klageschrift, dort Ziffer 2, die finanziellen Ansprüche des Klägers in drei Einzelbeträgen ausgewiesen worden sind, differenziert nach Normalstunden und Überstunden und zusätzlich nach den beiden Monaten September und August 2011. Hinzu tr...