Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines schwerbehunderten Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn für die Phase der fehlenden Leistungsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Grundsätzlich hat bei Streit über die Leistungsfähigkeit die arbeitgebende Partei darzulegen und zu beweisen, dass die andere Partei zur Leistung objektiv außer Stande war. Wendet sie die fehlende Leistungsfähigkeit oder den fehlenden Leistungswillen im Annahmeverzugszeitraum ein, reicht es zunächst aus, dass sie Indizien vorträgt, aus denen hierauf geschlossen werden kann. Da ein Wiedereingliederungsverhältnis als Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis) auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und nicht auf die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gerichtet ist, indiziert ein ärztlicher Wiedereingliederungsplan eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 24.09.2014 - 5 AZR 611/12, juris). Sodann ist es Sache der anderen Partei, die Indizwirkung zu erschüttern. Trägt sie nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung der arbeitgebenden Partei, es habe während des Verzugszeitraums Leistungsunfähigkeit vorgelegen, als zugestanden.
Normenkette
BGB § 615 S. 1, §§ 615, 611a, 297
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 14.09.2023; Aktenzeichen 3 Ca 551/23) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14.09.2023 - 3 Ca 551/23 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 1963 geborene Kläger war seit dem 15.04.2000 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin auf Basis des Arbeitsvertrages vom 22.03.2000 (Bl. 6 ff. der erstinstanzlichen Akte) als Softwareentwickler beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 7.871,07 EUR.
Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB 60. Er erlitt bei einem Verkehrsunfall am 02.09.1991 ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. In der Folge musste ein Auge entfernt und durch einen Glaskörper ersetzt werden. Spätfolgen des Verkehrsunfalls beeinträchtigen den Kläger bis heute. Unter anderem leidet der Kläger an Einschränkungen der Sehkraft, extremer Tagesmüdigkeit, einer schweren Störung der Merkfähigkeit, der Vigilanz und der Konzentrationsfähigkeit sowie einem schweren chronischen Erschöpfungszustand. Der Kläger wurde jahrelang wegen einer Depression, eine Angststörung sowie weiterer Folgen der erlittenen Hirnschädigung ärztlich behandelt.
Vom 23.11.2021 bis jedenfalls zum 08.02.2022 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte lud den Kläger mit Schreiben vom 22.02.2022 zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (im Folgenden: bEM) am 15.03.2022 sowie mit Schreiben vom 11.04.2022 (Bl. 100 der erstinstanzlichen Akte) zu einem bEM-Gespräch am 27.04.2022 ein, ohne dass der Kläger diese Termine wahrnahm. Mit Schreiben vom 19.04.2022 bot die Beklagte unter Nennung von drei Alternativterminen ein weiteres bEM-Gespräch an, woraufhin der Kläger nicht reagierte.
Ab dem 01.12.2022 nahm der Kläger auf Basis des ärztlichen Wiedereingliederungsplanes vom 10.11.2022 (Bl. 90 der erstinstanzlichen Akte) an einer Wiedereingliederung bei der Beklagten teil. Aufgrund des weiteren Wiedereingliederungsplanes vom 14.12.2022 (Bl. 143 der erstinstanzlichen Akte) wurde die Wiedereingliederung über das eigentlich geplante Beendigungsdatum (31.12.2022) hinaus verlängert. Ärztlicherseits wurde eine Verlängerung bis zum 28.02.2023 geplant. Der konkrete Ablauf der Wiedereingliederungsmaßnahme ist in einzelnen Punkten zwischen den Parteien streitig. Unstreitig war es dem Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, die ihm im Rahmen des Wiedereingliederungsversuchs gestellten Aufgaben innerhalb der vorgegebenen Zeit zu bearbeiten. Am 12.01.2023 reichte der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 170 der erstinstanzlichen Akte) für den Zeitraum bis zum 08.02.2023 ein und konnte die Wiedereingliederung zunächst nicht fortsetzen. Der Kläger versuchte sodann vergeblich, bei seiner Krankenkasse eine Verlängerung der Wiedereingliederung zu erreichen. Die Wiedereingliederungsmaßnahme wurde letztlich vorzeitig abgebrochen.
Am 06.02.2023 teilte der Klägervertreter der Beklagten per E-Mail mit, dass der Kläger ab dem 09.02.2023 wieder voll einsatzfähig sei und ab diesem Termin um 09:00 Uhr zur vertragsgemäßen Arbeit erscheinen werde. Mit E-Mail vom 09.02.2023 (Bl. 23 der erstinstanzlichen Akte) verlangte die Beklagte vom Kläger die Vorlage eines ärztlichen Arbeitsfähigkeitsattests zum Arbeitsantritt. Am 09.02.2023 suchte der Kläger seinen Arbeitsplatz auf, um seine Arbeitskraft anzubieten. Die Beklagte lehnte die Annahme der Arbeitsleistung ab.
Am 15.02.2023 erschien der Kläger sodann erneut im Betrieb und teilte mit, dass er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen werde. Am selben Tag übersandte der Kläger eine als Folgebescheinigung ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 160 der erstinstanzlichen Akte) für den...