Leitsatz (amtlich)
Legt eine schwangere Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung vor, in der ohne Begründung unter bloßem Hinweis auf § 3 Abs. 1 MuSchG ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird, so kann der Arbeitgeber nicht ohne weiteres die Lohnzahlung einstellen. Vielmehr ist es Sache des Arbeitgebers, die Frau zur Vorlage eines um die Begründung ergänzten Attestes aufzufordern. Erst wenn die Frau dem nicht nachkommt, ist die Einstellung der Lohnzahlung auf der Grundlage eines Zurückbehaltungsrechts berechtigt. Unterläßt der Arbeitgeber eine solche Aufforderung, so kann die Berechtigung des Beschäftigungsverbots im Zahlungsprozeß nicht überprüft werden.
Normenkette
MuSchG § 3 Abs. 1, § 11 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 24.05.1995; Aktenzeichen 20 Ca 9793/94) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 24.05.1995 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 20 Ca 9793/94 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist seit Dezember 1989 bei der Beklagten als Bürokauffrau beschäftigt. Am 06.03.1993 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, der unter anderem wie folgt lautet:
„Frau … nimmt nach ihrem Mutterschaftsurlaub, der am 05.03.1993 endete, ihre Tätigkeit als Bürokauffrau in unserer Firma wieder auf.
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 16 Stunden und wird auf 2 Tage verteilt.
Für diese Tätigkeit erhält Frau … ein monatliches Entgelt von DM 3.400,–.
Das Urlaubsgeld richtet sich nach den Bestimmungen des Fachverbandes des Getränkegroßhandels.
Als Weihnachtsgeld wird ein 13. Monatsgehalt gezahlt.”
Nachdem zwei Schwangerschaften mit einer Fehlgeburt geendet hatten, wurde die Klägerin im August 1994 erneut schwanger. Vom 29.08. bis 30.09.1994 war sie arbeitsunfähig. Mit ärztlicher Bescheinigung von Oktober 1994 wurde ihr „wegen Gesundheitsgefährdung von Mutter und Kind” ein Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG „bis auf weiteres” attestiert.
Nachdem die Klägerin der Beklagten diese Bescheinigung vorgelegt hatte, erhielt sie folgendes, auf den 24.10.1994 datiertes Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten:
„Aufgrund der vorgelegten Bescheinigung, daß Arbeitsunfähigkeit und Gefahr für Leib und Leben der Mutter und des Kindes bestehen soll, werden Sie hiermit abgemahnt.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird nicht erkannt, da ein Arzt nicht in der Lage ist, Ihnen eine Arbeitsunfähigkeit wegen angeblicher aus dem Betrieb hervorgehender Belastungen zu erstellen. Er kann dies nur aufgrund einseitiger Informationen von Ihnen.
Sie werden aufgefordert, sich durch einen Arzt des medizinischen Dienstes der Krankenkassen untersuchen zu lassen, sonst wird die Untersuchung von hier aus veranlaßt und von diesem eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Bis dahin haben Sie die unverschuldete Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen und meine Mandantin ist nicht verpflichtet, Entgelt fortzuzahlen.”
Nachdem die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 31.10.1994 aufgefordert hatte, die Abmahnung aus den Personalakten zu entfernen, erhielt sie von dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein Schreiben vom 01.11.1994, das als „Zweite Abmahnung” überschrieben ist und folgenden Wortlaut hat:
„Da Sie dem Schreiben vom 24.10.1994 nicht nachgekommen sind und auch nicht zur Arbeit erschienen sind, werden Sie ein weiteres Mal abgemahnt.
Bringen Sie unverzüglich, die im o.a. Schreiben genannte Bescheinigung bei.”
Im Verlauf des Rechtsstreits stellte der die Klägerin behandelnde Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. C. eine weitere Bescheinigung vom 25.11.1994 aus, in der ausgeführt ist:
Frau …, die sich in meiner ambulanten Behandlung befindet, ist aufgrund ihrer Schwangerschaft und ihren gesundheitlichen Problemen derzeit einer erheblichen, medizinisch nicht mehr zu verantwortenden Belastung an ihrem aktuellen Arbeitsplatz ausgesetzt.
Ausmaß und Längsschnitt dieser Belastung sind medizinisch in keiner Weise zu vertreten. Aus ärztlicher Sicht ist es deshalb nicht anzuraten, daß Frau … die Tätigkeit weiter ausübt, da sie dadurch zunehmenden Schaden an ihrer Gesundheit nehmen wird.
In einer Stellungnahme vom 23.02.1995 verweist Dr. C. zur Begründung des Beschäftigungsverbots auf S. 5 Nr. 6 des Mutterpasses. Dort ist „Besondere psychische Belastung (z.B. familiäre oder berufliche)” erwähnt.
Die Beklagte stellte die Lohnzahlungen an die Klägerin ein.
Die Klägerin hält die Abmahnungen für unberechtigt und hat behauptet, sie sei aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage gewesen, ihrer Arbeitstätigkeit nachzugehen. Sie fordert darüberhinaus unter anderem die Gehälter für November, Dezember 1994, Januar und Februar 1995 in Höhe von jeweils 3.400,00 DM und hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, die als Abmahnung bezeichneten Schreiben des Rechtsanwalts H. vom 24.10.1994 und vom 01.11.1994 aus der Personalakte zu entfernen;
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 13.600,– brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen aus dem ...