Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenz. Verschleppung. Haftung Geschäftsführer. Schaden
Leitsatz (amtlich)
1. Verletzt der Geschäftsführer einer GmbH die ihm nach § 64 Abs. 1 GmbHG obliegende Pflicht, innerhalb von spätestens 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, kann der Gläubiger der GmbH den ihm kausal durch die Verzögerung der Antragstellerin entstandenen Schaden vom Geschäftsführer ersetzt verlangen, da die genannte Norm ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt. Dieser Schadensersatzanspruch beschränkt sich grundsätzlich auf den sogenannten Quotenschaden, der sich bei einem Vergleich der Befriedensquote bei rechtzeitiger Antragstellung und der verspäteten ergibt.
2. Weitergehend haben allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit dem Urteil vom 09.06.1994 – II ZR 292/91 – (BB 1994, 1657) die so genannten Neu-Gläubiger, die ihre Forderung gegen die GmbH nach dem Zeitpunkt erworben haben, zu dem Insolvenzantrag hätten gestellt werden müssen, gegen den insoweit schuldhaft pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer einen Anspruch auf Ausgleich des vollen – nicht durch den Quotenschaden „begrenzten” – Schadens, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen GmbH getreten sind. Zu ersetzen ist in diesem Fall das sogenannte negative Interesse also der Vertrauens- nicht aber der Erfüllungsschaden. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
3. Neugläubiger im Sinne von vorstehend 2. sind auch Arbeitnehmer mit ihren Ansprüchen auf das geschuldete Arbeitsentgelt für die Zeit nach dem Zeitpunkt zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte gestellt werden müssen.
4. Zwar ist denkbar, dass der zu ersetzende Vertrauensschaden in gleicher Höhe entsteht, wie der ausgefallene Vergütungsanspruch. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass der Arbeitnehmer bei Kenntnis der Insolvenzreife nicht nur das Arbeitsverhältnis mit der insolventen Gemeinschuldnerin nicht weitergeführt hätte, sondern darüber hinaus, dass er für den gleichen Zeitraum für den er mit seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt ausgefallen ist, ein anderes Arbeitsverhältnis begründet und in diesem einen Lohnanspruch in mindest gleicher Höhe erworben hätte.
5. Eine Lebenserfahrung dahingehend, dass jeder Arbeitnehmer sofort einen anderen Arbeitgeber findet und dort Vergütung in mindest gleicher Höhe erhält, gibt es nicht. Eine Erleichterung der Darlegung aufgrund entsprechender Vermutung ist daher nicht in Betracht zu ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.2003 – II ZR 241/02 – DB 2003, 2117).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; GmbHG § 64 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 31.08.2005; Aktenzeichen 6 Ca 6673/04) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2005 – 6 Ca 6673/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten als Geschäftsführer der „N” auf Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch.
Der Kläger war vom 01.09.2002 bis zum 31.10.2003 bei der „N in A als Projektingenieur gegen ein monatliches Bruttogehalt von 3.270,00 EUR entsprechend 2.212,74 EUR netto beschäftigt.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund Kündigung des Klägers. Über das Vermögen der „N ist auf Antrag der Technikerkrankenkasse von Anfang September 2003 End September 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Der Beklagte war vom 06.08.2002 bis 09.04.2003 Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin.
Der Kläger, wie auch die übrigen Arbeitnehmer der „N” erhielten das Entgelt für den Monat Oktober 2002 erst am 13.11.2002. Per E-Mail vom 11.11.2002 teilte die Gemeinschuldnerin den Mitarbeitern mit, die Ursache hierfür sei ein Diskettendefekt bei der P. Am 04.12.2002 teilte die Gemeinschuldnerin wieder per E-Mail der Belegschaft mit, dass das Novembergehalt wegen eines Serverproblems bei der P nicht pünktlich gezahlt werden könne. Die Zahlung erfolgte am 30.12.2002 mit einem Abschlag über 800,00 EUR. Die Restzahlung erfolgt am 03.02.2002. Das Dezembergehalt wurde am 03.03.2003, das Entgelt für den Monat Januar 2003 am 04.04.2003 gezahlt.
Danach erfolgten keinerlei Zahlungen mehr.
Für die Monate August bis Oktober beantragte der Kläger Insolvenzgeld, welches er erhalten hat. Die Entgelte für Februar bis Juli 2003 rechnete die Gemeinschuldnerin mit jeweils 2.212,74 EUR netto ab.
Der Kläger nimmt in Anspruch, dass nach Maßgabe dieser Umstände bereits Anfang Dezember 2002 die Gemeinschuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei. Der Diskettendefekt bei der P sowie das angebliche Serverproblem hätten in Wirklichkeit nicht bestanden und seien von der Gemeinschuldnerin vorgeschoben worden.
Die tatsächliche Zahlungseinstellung für die Gehälter ab dem Monat Februar 2003 begründeten eine Vermutung der Zahlungsunfähigkeit.
Den Schaden errechnet der Kläger in Höhe der nicht gezahlten ...