Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen überzogener Kritik an Vorgesetzten und Kollegen in emotional aufgeheizter Stimmung. Substantiierungspflicht des Arbeitgebers bei betriebsbedingter Kündigung wegen unternehmerischer Entscheidung zur Leistungsreduzierung. Betriebsbedingte Kündigung kein Auffangtatbestand. Abmahnerfordernis bei Beleidigung des Vorgesetzten als "respektloser Treiber"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Erfordernis einer Abmahnung für eine Kündigung gegenüber einem gewerblichen Arbeitnehmer, der in einer emotional aufgeheizten Situation betriebs- und arbeitsplatzbezogene Kritik äußert und dabei diese Kritik überspitzt an Vorgesetzten und Kollegen festmacht ("... setzt Herrn X unter Druck ... ist ein respektloser Treiber ... hat keine Ahnung ... gefährdet Mitarbeiter ... ist faul und unzuverlässig ... ist ein Ausbeuter").

2. Die betriebsbedingte Kündigung ist kein "Auffangtatbestand" für Sachverhalte, in denen die Tatsachen zur Begründung einer verhaltensbedingten Kündigung nicht ausreichen. Jedenfalls bedarf die behauptete und zur Begründung des Wegfalls genau dieses einen Arbeitsplatzes vorgetragene Unternehmerentscheidung "die Kapazitäten im Bereich Drehtechnik um 30 Stunden in der Woche und somit auf 142 Stunden zu reduzieren", in besonderem Maße einer Konkretisierung, einer Erklärung und Darlegung des betriebswirtschaftlichen Überbaus und einer Darstellung des zugrundeliegenden Konzepts. Das gilt ganz besonders dann, wenn nach der Darstellung der Arbeitgeberin diese Leistungsreduzierungsentscheidung nach Erhebung der Kündigungsschutzklage gegen die zuvor ausgesprochene vermeintlich verhaltensbedingte Kündigung gefällt worden sein soll.

 

Normenkette

KSchG § 1; BGB § 314; GG Art. 5 Abs. 1; ZPO § 91

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 01.12.2020; Aktenzeichen 9 Ca 1259/20)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 01.12.2020 - 9 Ca 1259/20 - teilweise abgeändert und weiter festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29.05.2020 nicht aufgelöst worden ist.
  2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat zu 1/6 der Kläger zu tragen und zu 5/6 die Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier Kündigungserklärungen, nämlich einer fristlosen Kündigung vom 06.04.2020, einer hilfsweise wegen des Verhaltens des Klägers ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 08.04.2020 zum 31.05.2020 und einer weiteren äußerst hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 29.05.2020 zum 30.06.2020, die die Beklagte nicht mehr auf Gründe im Verhalten des Klägers stützt, sondern dieses Mal auf eine innerbetriebliche Organisationsentscheidung und damit auf betriebliche Gründe.

Die Beklagte befasst sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Hydraulikzylindern und beschäftigt gut 30 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Unternehmen werden die Bereiche Frästechnik und Drehtechnik unterschieden.

Der Kläger ist 43 Jahre alt, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 01.07.2016 ist er bei der Beklagten beschäftigt. Ursprünglich hatte er eine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker abgeschlossen, eingestellt wurde er als CNC-Dreher. Später übernahm der Kläger die Position des Vorarbeiters im Bereich Drehtechnik bei einer monatlichen Vorarbeiterzulage iHv 200,00 EUR. Der Kläger war bis zuletzt ausschließlich im Bereich Drehtechnik beschäftigt und dort insbesondere an den CNC-Maschinen DUS und GEMINIS (beide Siemenssteuerung), die er auch programmierte. Als Vorarbeiter war der Kläger Vorgesetzter von mindestens zwei Mitarbeitern. Zuletzt erzielte der Kläger vereinbarungsgemäß ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.600,00 EUR zuzüglich einer Prämie in Höhe von 500,00 EUR nebst der besagten Vorarbeiterzulage iHv 200,00 EUR. In der Produktionsplanung und Produktionsteuerung sind die Zeugen J und El-A beschäftigt. Der Kläger kritisierte in der Vergangenheit des Öfteren Herrn El-A , weil dieser neue Projekte in laufende Produktionen eingeschoben habe. Am 27.03.2020 war Herr EL-A mit dem Geschäftsführer auf einem Rundgang durch den Betrieb. Dort kam es zu einem Streitgespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen EL-A . Einzelheiten zu diesem Gespräch sind streitig. Jedenfalls verließ der Geschäftsführer das Gespräch, das sodann zwischen dem Kläger und dem Zeugen El-A fortgeführt worden ist. Der Kläger verließ vor Ende der regulären Arbeitszeit den Betrieb. Am 31.03.2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, dem Kläger gegenüber eine fristlose und hilfsweise fristgerechte Kündigung auszusprechen. Der Betriebsrat reagierte hierauf mit Schreiben vom 03.04.2020 und teilte mit, es werde keine Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte kündigte sodann das Arbeitsverhältnis am 06.04.2020 fristlos. Unter dem Datum des 08....

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