Entscheidungsstichwort (Thema)
Entbehrlichkeit einer Abmahnung bei Beleidigung und Drohung gegenüber anderen Mitarbeitern. Kein Abmahnerfordernis bei bloßer Förmelei. Ablehnung der Entschuldigung für die Tat als Nachweis ungünstiger Zukunftsprognose
Leitsatz (amtlich)
1. Wer zu einem Kollegen auf den Verdacht hin, dieser Kollege habe ihn beim Arbeitgeber wegen Arbeitsbummelei denunziert, brüllt "Ich schneid dir die Eier ab, du Schwein", wer diesen Kollegen im weiteren Verlauf des Tages mit beiden Händen wegstößt und wer einem Zeugen der Szene sagt: "Damit du Bescheid weißt: Du hast nichts gesehen", der tut Dinge, von denen er weiß, dass der Arbeitgeber sie im Betrieb nicht dulden kann und die der Arbeitgeber zum Anlass für eine (zumindest ordentliche) Kündigung nehmen darf, ohne dass vorher eine Abmahnung ausgesprochen werden müsste.
2. Die negative Zukunftsprognose zum Verhalten des Arbeitnehmers vertieft sich, wenn sich der Arbeitnehmer - trotz Aufforderung durch das Opfer und durch den Arbeitgeber - nicht in der Lage sieht, für sein Fehlverhalten um Entschuldigung zu bitten.
3. Ob der Arbeitnehmer darüber hinaus zu dem besagten Kollegen "ich fick deine Mutter" gerufen hat, ist dann nicht mehr entscheidungserheblich.
Normenkette
KSchG § 1; BGB §§ 314, 626; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 10.12.2020; Aktenzeichen 3 Ca 2531/20) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.12.2020 - 3 Ca 2531/20 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Nachdem das Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt hat, dass eine fristlose Kündigung wegen des Verhaltens des Klägers unverhältnismäßig gewesen sei, streiten die Parteien in der Berufungsinstanz nur noch über die Frage, ob es richtig war, dass das das Arbeitsgericht die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung als wirksam erachtet hat.
Der Kläger ist 57 Jahre alt, ledig und hat keine Unterhaltspflichten. Bei der Beklagten ist er seit dem 01.08.2013 als Lagerist beschäftigt. Hierfür erhielt er zuletzt vereinbarungsgemäß ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.435,00 EUR brutto.
Die Beklagte betreibt ein Logistikcenter und beschäftigt dort mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat existiert nicht.
Am 16.06.2020 spielten der Kläger und zwei andere Mitarbeiter der Beklagten am Computer im Lager das Kartenspiel Solitär. Dabei wurden sie von einem Kollegen mit dem Mobiltelefon fotografiert. Dieses Foto erhielt am nächsten Tag der für den Lagerbereich verantwortliche Angestellte, der Zeuge L . Dieser Zeuge stellte das Bild seinerseits der Prokuristin der Beklagten, der Zeugin N , zur Verfügung. Diese führte sodann mit den drei fotografierten Solitärspielern ein zurechtweisendes Gespräch. Alle drei sahen ihre Pflichtverletzung ein. Dieser Sachverhalt, also das Solitärspielen als solches, ist nicht Gegenstand des Sachverhalts, den die Beklagte zum Anlass der streitgegenständlichen Kündigung nahm. Relevant ist vielmehr der Groll, den der Kläger gegen den (vermeintlichen) Fotografen, also gegen den Denunzianten, hegte und wie er sich in diesem Zusammenhang verhielt.
Schon während des Gesprächs mit der Prokuristin fragte der Kläger mehrmals nach, wer denn die Fotos gemacht habe, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Auf dem Weg vom besagten Gespräch mit der Prokuristin zurück zum Arbeitsplatz traf der Kläger seinen Kollegen M . Der Kläger hielt diesen Kollegen für den Fotografen. Er stürmte auf den Kollegen zu und überzog ihn mit Beschimpfungen. Einzelheiten sind streitig. Der Kläger hat inzwischen eingeräumt, dass er die Worte "Ich schneid dir die Eier ab, du Schwein" gerufen habe. Kurze Zeit danach trafen die Parteien erneut aufeinander. Einzelheiten sind auch hier streitig. Jedenfalls hat der Kläger den Zeugen am Ende mit beiden Händen weggestoßen. Zu einem dabeistehenden Kollegen, der die Szene miterlebt hatte, sagte der Kläger dann noch: "Damit du Bescheid weißt: Du hast nichts gesehen." Bei einem späteren Zusammentreffen des Zeugen M mit dem Kläger forderte der Zeuge den Kläger auf, er solle sich entschuldigen, dann sei alles in Ordnung. Der Kläger war aber nicht bereit, sich zu entschuldigen.
Mit Schreiben vom 30.06.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.08.2020.
Nach Erhalt der Kündigung sprach der Kläger einen anderen Kollegen an und bat diesen, die Adresse des Zeugen M mitzuteilen.
Mit der seit dem 17.07.2020 beim Arbeitsgericht Aachen anhängigen Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger mit zwei Feststellungsanträgen gegen die fristlose Kündigung und gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung gewandt. Zur Begründung der Klage und zu Erklärung des ihm vorgeworfenen Verhaltens hat er vorgetragen, der Zeuge M habe ihn angegrinst, als er aus dem Personalgespräch mit der Prokuristin gekommen sei. Da habe er sein Temperament nicht im Griff gehabt. Der Zeuge M habe auch "verbal...