Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvertragsklausel. Kleine dynamische Verweisung. Große dynamische Verweisung. Fehlende Tarifbindung. Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Arbeitsvertragsklausel, für das Arbeitsverhältnis gelte „grundsätzlich der jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe”, handelt es sich um eine auf die Branche bezogene Bezugnahmeklausel eigener Art, die weder dem typischen Fall einer sog. kleinen dynamischen Verweisung, noch demjenigen einer sog. großen dynamischen Verweisung im Sinne der BAG-Rechtsprechung entspricht.
2. Der Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen vom 21.09.2005 verdrängt als speziellerer Tarifvertrag die entgegenstehenden Regeln des Manteltarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW vom 08.12.2005.
3. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags ersetzt lediglich eine fehlende Tarifbindung, kann aber nicht zur Anwendbarkeit eines Tarifvertrages führen, der selbst bei beiderseitiger Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien nicht anwendbar wäre.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 29.11.2007; Aktenzeichen 8 Ca 1587/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 29.11.2007 in Sachen 8 Ca 1587/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um tarifvertragliche Ansprüche.
Die am 26.12.1974 geborene, verheiratete Klägerin ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 18.05.2002 (Bl. 8 d. A.) als Sicherheitskraft am Flughafen K./B. beschäftigt.
Die Klägerin ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Die Beklagte ist Mitglied des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V., dem Tarifverträge schließenden Arbeitgeberverband der Wach- und Sicherheitsbranche.
Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Klägerin hat folgenden Wortlaut:
„Für das Arbeitsverhältnis gilt grundsätzlich der jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe.”
Die Beklagte wandte auf das Arbeitsverhältnis zunächst den Manteltarifvertrag und den Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen an. Am 21.09.2005 verabschiedeten die Tarifvertragsparteien einen speziellen Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen. Dieser ERTV gilt bundesweit und fachlich für alle Wach- und Sicherheitsunternehmen, die – wie das auch bei der Beklagten der Fall ist – an Verkehrsflughäfen Sicherheitsmaßnahmen nach den §§ 5, 8 und 9 LuftSiG ausführen. Die Klägerin ist in diesem Bereich tätig.
Ebenfalls am 21.09.2005 schlossen die Tarifvertragsparteien einen Bundesüberleitungstarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen. § 2 des Überleitungs-TV bestimmt u. a. das Folgende:
„An den Verkehrsflughäfen, die durch den Branchentarifvertrag bundesweit geregelt werden, existieren Branchentarifverträge oder Regelungen in Flächentarifverträgen des Wach- und Sicherheitsgewerbes mit der Gewerkschaft ver.di.
Es besteht Einigkeit, dass durch die neue bundesweite einheitliche Regelung in Form eines Branchentarifvertrages die geltenden tariflichen Normen nicht aufgehoben sind, sofern im Folgenden nicht etwas anderes bestimmt ist.
…
3. Mit Beendigung der länderbezogenen manteltarif- und entgelttarifvertraglichen Regelungen finden ausschließlich die vereinbarten bundeseinheitlichen manteltarif- und entgeltrahmentarifvertraglichen Regelungen uneingeschränkt Anwendung.”
Der Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen und der zugehörige Überleitungstarifvertrag traten am 01.09.2005 in Kraft. Der damals gültige Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 02.02.2000 trat zum 31.12.2005 außer Kraft und wurde mit Wirkung ab 01.01.2006 durch einen neuen Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 ersetzt. Der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 wurde mit Wirkung ab 01.01.2006 für allgemeinverbindlich erklärt.
Der Zuschlag für Sonntagsarbeit beträgt nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe b) des Bundesentgeltrahmentarifvertrags für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen 40 %. § 3 Ziffer 3 MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen sieht dagegen einen 50%-igen Zuschlag für Sonntagsarbeit vor. Andererseits beträgt der Zuschlag für Nachtarbeit gemäß § 3 Ziffer 5 MTV NRW nur 5 %, der Nachtarbeitszuschlag nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe e) ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen dagegen 15 %. Für die Berechnung von Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sieht der ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen einen zwölfmonatigen Referenzzeitraum vor, der MTV NRW für das Wach- und Sicherheitsgewerbe dagegen nur einen dreimonatigen Referenzzeitraum.
Seit dem 01.01.2006 wendet...