Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger Schäden. Wiederholungsgefahr als Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs. Geschäftsgeheimnis i.S.d. § 2 GeschGehG. Unwirksamkeit einer unbegrenzten "Catch-All-Klausel" nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird Klage auf Feststellung erhoben, dass die Gegenseite verpflichtet sei, zukünftige Schäden zu ersetzen, liegt ein Feststellungsinteresse vor, wenn der Schadenseintritt möglich ist, auch wenn Art und Umfang sowie Zeitpunkt des Eintritts noch ungewiss sind. Es muss lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestehen.
2. Ein auf Wiederholungsgefahr gründender Unterlassungsanspruch erfordert regelmäßig, dass das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch ist.
3. Ein Geschäftsgeheimnis liegt vor, wenn es weder allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich und daher von wirtschaftlichem Wert ist und es angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen zum Schutz der verkörperten Informationen gibt.
4. Umfassende Verschwiegenheitsklauseln (sog. "Catch-All-Klauseln") ohne zeitliche Begrenzung mit lebenslanger Bindung berücksichtigen die grundgesetzlich geschützte Position des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht angemessen, jedenfalls dann nicht, wenn sie sich ohne inhaltliche Konkretisierung in allgemeiner Art und Weise auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beziehen. Sie sind nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
Normenkette
ZPO § 256; GeschGehG §§ 2, 6; GG Art. 12 Abs. 1; GeschGehG § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b); BGB § 307 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 13.01.2022; Aktenzeichen 8 Ca 1229/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 13.01.2022 - 8 Ca 1229/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Untersagung der Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen sowie Schadensersatz.
Die Klägerin ist neben der Firma T ein weltweit führender Hersteller von Füllmaschinen für Lebensmittel und Getränke sowie des zugehörigen Verpackungsmaterials. Im Gegensatz zur Firma T und sonstigen Konkurrenzunternehmen liefert die Klägerin Verpackungsmaterialien nicht als Rollware, sondern in Form von flachen und bereits an der Längsnaht versiegelten Verpackungsmänteln (Sleeves). Die Sleeves vertreibt die Klägerin nicht an jedermann, sondern an SIG-Systemkunden im Rahmen von Packstoffverträgen. In den letzten Jahren sind vermehrt weitere Marktteilnehmer als Konkurrenten im Sleeve-Markt aufgetreten; der Umfang des Wettbewerbs ist zwischen den Parteien streitig.
Die Sleeves produziert die Klägerin auf automatischen Faltschachtelklebemaschinen (AFK-Maschinen). Zulieferer dieser Maschinen war vor allem die Firma P GmbH & Co. KG., die nicht berechtigt war, AFK-Maschinen an Dritte zu liefern.
Weltweit produziert die Klägerin rund 34 Milliarden Sleeves pro Jahr. Bislang produziert kein anderes Unternehmen weltweit Sleeves in ähnlicher Menge. Zwei chinesische Unternehmen stellten jedoch bereits rund 300.000 bzw. 250.000.000 Sleeves her. Die 250.000.000 Sleeves wurden von der C Co. Ltd. verkauft. Streitig ist zwischen den Parteien, ob die Sleeves denjenigen der Klägerin gleichwertig sind, insbesondere hinsichtlich der aseptischen Eigenschaften. Zudem gelang es auf dem europäischen Markt der Firma A Europe B.V., 40.000 Sleeves an einen der Hauptkunden der Klägerin, der R Deutschland GmbH bzw. an die R B.V. (R ), zu liefern.
Der Beklagte war bei der Klägerin von Oktober 1988 bis zum 31.12.2016, beschäftigt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung der Produkte der Klägerin beteiligt war und stand in engem Austausch mit Mitarbeitern aus dem Bereich Forschung und Entwicklung. Ab dem 01.01.2009 übernahm er als außertariflicher Angestellter die Funktion des Central Technology Managers. Nach Ziffer 11. des Arbeitsvertrages vom 05.12.2008 war er auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Geheimhaltung über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verpflichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrages vom 05.12.2008 wird auf Bl. 48 ff. d. A. verwiesen.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 31.12.2016 und nahm ab dem 01.01.2017 die Tätigkeit eines Global Technology Mangers bei der R auf.
Der Beklagte hatte noch während seiner Tätigkeit für die Klägerin im Jahre 2015 mehrere E-Mails nebst Anlagen unter einem Pseudonym an die damaligen Gesellschafter der C Packaging GmbH, die Herren S und G , versandt. Bei der C GmbH handelte es sich seinerzeit um eine (potentielle) Konkurrentin der Klägerin, die an einem Markteintritt im Bereich der Fertigung von Sleeves im industriellen Maßstab interessiert war. Die Anlagen zu den E-Mails enthielten spezifische Leistungsdaten und Prozessparameter der AFK-Maschinen sowie Geometrie- und Toleranzdaten der Sleeves der Klägerin, die d...