Entscheidungsstichwort (Thema)

Chaotische Kassenführung eines nicht-kaufmännischen Mitarbeiters als Kündigungsgrund. Prüfungspflicht des Arbeitgebers bei Kassentätigkeit des Arbeitnehmers. Unverhältnismäßigkeit einer Kündigung wegen Schlechtleistung. Bedeutung marginaler Kassentätigkeit bei Kündigungsgrund. Auflösungsverschulden wegen Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gehört das Führen einer Kasse zu einem Anteil von etwa einem Dreißigstel der Arbeitszeit zu den Aufgaben eines nicht kaufmännisch ausgebildeten Arbeitnehmers, so reicht ohne Hinzutreten weiterer Tatsachen die Feststellung einer chaotischen Kassenführung (drei Geldkassetten, ein Sparschwein, Zettelwirtschaft, Kassenmanko iHv. drei Bruttomonatsentgelten) als Kündigungsgrund nicht aus.

2. Insbesondere wenn der Arbeitgeber erst nach sieben Jahren erstmals die Kasse eingehend prüft, und bei der Feststellung von Leistungsmängeln des Arbeitnehmers bei der Kassenführung nicht zunächst den Weg einer engeren Mitarbeiterführung einer Fortbildung, eines externen Coachings etc. beschreitet, so stellen sich Abmahnung und Kündigung als unverhältnismäßig dar.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 9 Abs. 1 S. 2; BGB §§ 280, 823 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 27.06.2019; Aktenzeichen 14 Ca 7927/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.06.2019 - 14 Ca 7927/18 - wird zurückgewiesen
  2. Der Auflösungsantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und im Wege einer Widerklage um Schadensersatz sowie um einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers. Im Kern des Rechtsstreits steht der Vorwurf des Beklagten gegenüber dem Kläger, dieser habe die ihm anvertraute Kasse chaotisch geführt und dabei sei im Laufe der Zeit ein Betrag in Höhe von über 4.500,00 EUR abhandengekommen.

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein mit inzwischen ca. 50 ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern, jedenfalls mehr als 10 Arbeitnehmern iSd. § 23 KSchG, der dem vorrangigen Zweck der Förderung mildtätiger Zwecke folgt, die darauf gerichtet sind, Personen zu unterstützen, die infolge ihres persönlichen körperlichen, geistigen und seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen sind oder deren Einkünfte eine bestimmte Höhe nicht übersteigen. Dazu gehören unter anderem die Förderung der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenarbeit sowie die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen für Behinderte, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger mit dem Ziel der stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. In diesem Rahmen wird das "Bürgerhaus M " und ein Möbellager betrieben.

Der Kläger ist 56 Jahre alt. Neben seinem Realschulabschluss hat er keinen weiteren Ausbildungsnachweis. Er hat auch keine Aus- oder Fortbildung besucht, die die Vermittlung kaufmännischer Kenntnisse zum Gegenstand gehabt hätten. Seit dem Jahre 2008 war er zunächst ehrenamtlich für den Beklagten tätig. Im Jahre 2011 übernahm er ehrenamtlich die Leitung des Sozialbereichs. Schließlich wurde zwischen den Parteien im Juli 2014 mit Blick auf einen vom Jobcenter bewilligten Eingliederungszuschuss ein zunächst befristetes, später unbefristet verlängertes, Arbeitsverhältnis begründet. Ausweislich der Arbeitsvertragsurkunde vom 13.06.2014 (Bl. 4 ff d.A.) wurde der Kläger als "Leiter des Sozialbereichs" eingestellt. Als wöchentliche Arbeitszeit wurden 30 Stunden vereinbart und als monatliches Bruttoentgelt 1.500,00 EUR. Die Frage, ob der Kläger tatsächlich nur 30 Stunden pro Woche gearbeitet hat, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die für den Kläger geltende Stellen- und Arbeitsplatzbeschreibung (Bl. 43 d.A.) nennt die "Sozialberatung" als die "Pflicht- und Hauptaufgabe dieses Bereichs". Im zehnten Unterpunkt der Teilaufgaben heißt es dort: "Jährliche Erstellung und ggfls. Aktualisierung eines eigenen Budgetplans, laufende Buchführung und Überwachung der Einnahmen und Ausgaben."

Der vom Kläger geleitete Sozialbereich generiert Einnahmen aus Spenden, dem Verkauf von Möbeln, der Durchführung kleiner Umzüge, der Durchführung von Verwaltungsaufgaben, der Vornahme von Fahrleistungen sowie der Lebensmittelausgabe der Kölner Tafel etc. Die Einnahmen fließen in die Kassen des Sozialbereichs. Aus diesen Einnahmen gewährt der Beklagte durch seinen Sozialbereich, also u.a. durch den Kläger, Mitarbeitern und anderen Personen Kleinstkredite. Dies führt zu entsprechenden Kassenausgaben. Dass der Kläger nach den Maßgaben einer ordnungsgemäßen Buchhaltung die Ausgabe dieser Kleinstkredite nicht immer korrekt behandelt hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Insbesondere fehlen Quittungen der Kreditnehmer. Auch die vollständigen Namen und Adressen der Kreditnehmer sind nicht immer erfasst worden. Vielmehr fand sich bei Prüfungen der Kassen im Jahre 2018 eine Vielzahl von Notizzetteln, auf denen n...

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