Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen Benachteiligung eines Schwerbehinderten bei Einstellungsverfahren. Meldepflichten des Arbeitgebers nach § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Widerlegung der Vermutung der Benachteiligung nach § 22 AGG
Leitsatz (redaktionell)
1. Dem nicht beim Einstellungsverfahren berücksichtigten schwerbehinderten Arbeitnehmer steht eine Entschädigung zu, da der Arbeitgeber nicht geprüft hat, ob er die Stelle auch mit einem Schwerbehinderten besetzen kann. Zudem hat er die freie Stelle auch nicht der Agentur für Arbeit gemeldet (§ 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX).
2. Die Mitteilung der freien Stelle an die Agentur für Arbeit muss sach- und zweckgerichtet sein, damit die Agentur in der Lage ist, einen angemessenen Vermittlungsvorschlag unterbreiten zu können.
3. Die Vermutung der Benachteiligung nach § 22 AGG ist nicht widerlegt, wenn nicht substantiiert vorgetragen wird, dass der Bewerber nicht über die notwendige Qualifikation verfügt bzw. die formalen Anforderungen an die Stelle nicht erfüllt.
4. Für die unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung ist eine Entschädigung in Höhe von 7500 Euro nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG angemessen.
Normenkette
AGG § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2, § 22; SGB IX § 164 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 25.06.2020; Aktenzeichen 7 Ca 218/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 25.06.2020 - 7 Ca 218/20 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 7.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung zu zahlen.
Der am .1965 geborene schwerbehinderte Kläger ist promovierter Hochschulabsolvent im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Nach seiner Promotion im Jahre 1998 war er für als Angestellter und Selbständiger u. a. in den Bereichen Consulting, Coaching und Projektbetreuung bzw. Projektleitung tätig, seit dem Jahre 2007 überwiegend in der Informationstechnik. Wegen der weiteren Einzelheiten des beruflichen Werdeganges und der Qualifikationen des Klägers wird auf Bl. 14 ff. d. A. Bezug genommen. Seit dem Mai 2019 ist der Kläger arbeitssuchend.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der IT-Dienstleistungsbranche mit über 4.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz im Jahre 2019 von etwa 449,7 Mio. Euro.
Die Beklagte hat am 09.08.2019 eine Stellenausschreibung für die Position "(Senior) Agile Coach/Agilist (m/w/d)" veröffentlicht. Wegen der Einzelheiten des Inhalts der Stellenanzeige wird auf Bl. 11 ff. d. A. Bezug genommen.
Die Beklagte hat hinsichtlich der ausgeschriebenen Stelle der Bundesagentur für Arbeit (BA) keinen Vermittlungsauftrag erteilt, auch besteht kein Kooperationsvertrag mit der BA. Die Stellenanzeige gelangte über einen beauftragten privaten Dienstleister (Rexx systems nebst angeschlossener Jobbörse ) automatisch an die Online-Jobbörse der BA. Dort sind die Stellen unter Angabe des Titels des Stellenangebots, Veröffentlichkeitsdatum, Arbeitgeber, Arbeitsort und Entfernung zum Arbeitsort hinterlegt und mit einem Link versehen, der es ermöglicht, die konkrete Stellenanzeige abzurufen.
Auf die Stellenausschreibung vom 09.08.2019 hat sich der Kläger über das Portal s mit E-Mail vom 14.08.2019 unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung und unter Beifügung von Lebenslauf, Arbeitszeugnissen und Qualifikationsnachweisen beworben (Bl. 14 ff. d. A.).
Mit E-Mail vom 23.08.2019 und vom 26.08.2019 (Bl. 58 f. d. A.) hat die Beklagte auf Nachfrage dem Kläger sinngemäß mitgeteilt, dass sein Qualifikationsprofil nicht hinreichend mit dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Position übereinstimme.
Mit Schreiben vom 19.10.2019, der Beklagten am 20.10.2019 zugegangen, hat der Kläger u. a. geltend gemacht, dass er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei und die Zahlung einer Entschädigung von zwei Monatsgehältern (10.000,00 Euro) zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens angeboten (Bl. 60 f. d. A.). Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 03.01.2020 (Bl. 67 f. d. A.) ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung eine Entschädigung von 2.500,00 Euro angeboten hatte, hat der Kläger am 20.01.2020 eine Entschädigungsklage beim Arbeitsgericht eingereicht, die der Beklagten am 30.10.2019 zugestellte wurde.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.06.2020 (Bl. 206 ff. d. A.) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die BA habe von der Stellenanzeige durch Einstellen in die Online-Jobbörse Kenntnis erlangt, auch wennl kein betreuter Vermittlungsauftrag erteilt worden sei. Zudem habe die Beklagte hinreichend dargetan, dass der Kläger im Hinb...