Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassung. Entlassungsbegriff. Vertrauensschutz. Präklusion
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Massenentlassung nach der Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 – C-188/03. Insoweit parallel mit dem Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 20.09.2005 – 5 Sa 149/05.
2. Es bleibt offen, ob § 6 KSchG in der seit 2004 geltenden Fassung allgemein auch als Präklusionsvorschrift anzusehen ist, die es dem Arbeitnehmer unmöglich macht, im Berufungsrechtszug die Wirksamkeit der Kündigung mit Rügen anzugreifen, die er in erster Instanz nicht vorgebracht hat.
3. Für den Fall, dass eine Rüge gegen die Wirksamkeit der Kündigung vor dem Arbeitsgericht noch gar nicht erhoben werden konnte, da ihre Voraussetzungen noch gar nicht gegeben waren, führt § 6 KSchG jedenfalls nicht zum Verlust des Rügerechts im Berufungsrechtszug.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, §§ 18, 1 Abs. 2, 5 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Urteil vom 14.12.2004; Aktenzeichen 1 Ca 2276/04) |
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichtes wird teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.08.2004 nicht beendet wurde.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 1/4 und im Übrigen die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und um Probleme der vorgenommenen Massenentlassung.
Der 1957 geborene Kläger ist bei der Beklagten unter Berücksichtigung von anerkannten Vordienstzeiten seit September 1973 als Kranfahrer/Maurer zu einem Stundenlohn von zuletzt 9,98 EUR brutto beschäftigt.
Die Beklagte ist ein Bauunternehmen mit insgesamt mehr als 100 aber weniger als 200 Arbeitnehmern. Die Hauptverwaltung ist in S angesiedelt und es gibt Betriebsstätten in S und R, die von der Beklagten als Niederlassungen bezeichnet werden.
Der Kläger ist der Betriebsstätte R zugeordnet. In seinem Arbeitsvertrag heißt es insoweit (vgl. Blatt 99 d. A.):
”Der Arbeitsort des Arbeitnehmers sind die Baustellen der
Niederlassung R.
Er ist jedoch auch verpflichtet, nach näherer Anweisung,
auf Baustellen anderer Niederlassungen zu arbeiten.”
Für das Gesamtunternehmen ist ein Betriebsrat gewählt worden von den Arbeitnehmern an beiden Standorten.
Der Kläger und die anderen gewerblichen Mitarbeiter aus R haben teilweise selbstständig und teilweise auch gemeinsam mit Kollegen aus S die Aufträge der Beklagten abgearbeitet. Teilweise sind die Aufträge auch in Kooperation mit Mitarbeitern der … GmbH und der … GmbH, beides Tochtergesellschaften der Beklagten, abgearbeitet worden.
In Rostock gab es etwa 25 gewerbliche Mitarbeiter und mehrere Bauleiter, Ingenieure und kaufmännische Mitarbeiter, die die Aufträge akquirierten (teilweise streitig), die Baustellen koordinierten und die Abrechnungen vornahmen. Die Personalbuchhaltung erfolgte zentral in S. Welche Personalbefugnisse der Niederlassungsleiter in R hatte, ist zum Teil streitig geblieben. Insgesamt waren vor der Entlassungswelle am Standort R etwa 50 Arbeitnehmer beschäftigt.
Die Niederlassung R hatte zum Schluss nicht mehr kostendeckend gearbeitet; außerdem konnten nicht genügend Aufträge akquiriert werden. Vor diesem Hintergrund hat sich die Unternehmensleitung Mitte August 2004 entschlossen, sämtliches gewerbliches Personal in R zu entlassen und zukünftig die entsprechenden Leistungen allein noch über Nachunternehmer einzukaufen.
Unter dem 18.08.2004 wurde der Betriebsrat über die Absicht unterrichtet, die Arbeitsverhältnisse sämtlicher gewerblicher Arbeitnehmer in R (mit Ausnahme der dort beschäftigten Betriebsratsmitglieder) zu kündigen. Wegen der Einzelheiten wird auf das in Kopie zur Gerichtsakte gelangte dreiseitige Dokument Bezug genommen (Blatt 64 ff d. A.). Danach sollten insgesamt 22 gewerbliche Arbeitnehmer, unter anderem dem Kläger, und eine nicht genau bestimmte Anzahl von Angestellten, gekündigt werden.
Der Betriebsrat hat der Kündigung unter dem 26.08.2004 mit dem Argument widersprochen, im Rahmen der Sozialauswahl hätten auch die gewerblichen Mitarbeiter am Standort in S einbezogen werden müssen.
Am 30.08.2004 ist es schließlich zum Abschluss eines Interessenausgleiches und eines Sozialplans gekommen; auf die überreichten Kopien der beiden Dokumente wird Bezug genommen. Der Sozialplan sieht Abfindungen in Höhe von 100,00 EUR pro Jahr der Betriebszugehörigkeit für die gekündigten Arbeitnehmer vor. Der Interessenausgleich mit der gesondert unterzeichneten Namensliste lag in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht in einem parallelen Rechtsstreit im Original vor und wurde vom Gericht in Augenschein genommen. Die Namensliste umfasst 25 Mitarbeiter der Niederlassung R, unter anderem den des Klägers.
Die Beklagte hat sodann mindestens gegenüber 23 der auf der Liste aufgeführten Arbeitnehmern unter dem 30.08.2004 eine ordentliche be...