Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des TV Ratio auf eine Umstrukturierungsmaßnahme im Konzern der Deutschen Telekom, die zu einer Verlagerung der Arbeitsplätze von B. nach F./O. geführt hat
Leitsatz (amtlich)
1. Der TV Ratio findet auch dann Anwendung, wenn Arbeitsplätze nicht wegfallen, sondern lediglich verlegt werden.
2. Ein Arbeitsplatz wird schon dann verlegt, wenn er von einer politischen Gemeinde in eine andere verlegt wird. Nicht erforderlich ist es, dass der neue Arbeitsplatz zu einem anderen Betrieb gehört oder in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Betriebsrats fällt.
3. Sofern an dem Standort, an dem die Arbeitsplätze wegfallen, einzelne Arbeitsplätze verbleiben, sind die verbleibenden Arbeitsplätze nach den tarifliche Regeln der sozialen Auswahl (§ 3 Absatz 4 TV Ratio) zu besetzen. Fallen die Arbeitsplätze in 4 von 5 Betriebsstätten in B. weg, sind daher die verbleibenden vergleichbaren Arbeitsplätze in der fünften Betriebsstätte nach sozialen Gesichtspunkten zu verteilen. Dieses tarifliche Regelungskonzept kann nicht durch einen Interessenausgleich der über „Migrationspfade” beschreibt, welche Arbeitnehmer zukünftig wo arbeiten sollen, außer Kraft gesetzt werden.
Die zugelassene Revision ist eingelegt. Das Verfahren wird beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 10 AZR 309/11 geführt.
Normenkette
TVG §§ 1, 4; BetrVG § 111
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Urteil vom 30.07.2010; Aktenzeichen 4 Ca 2093/09) |
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 30. Juli 2010 (4 Ca 2093/09) wird im Urteilstenor zu 2 zum Zwecke der Klarstellung aufgehoben und wie folgt neu erlassen: Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeit im Bereich der Regelarbeitsstelle B in der Arbeitsstätte S als Kundenbetreuerin zuzuweisen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Versetzung der klagenden Arbeitnehmerin von einer Arbeitsstätte in Bxxx zu einer Arbeitsstätte in Fxxx.
Die 1972 geborene, verheiratete und zwei Kindern im Alter von 9 und 11 Jahren unterhaltsverpflichtete Klägerin ist seit dem 16. Juli 1992 bei der Beklagten als Kundenberaterin bei einem monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 3.300,00 Euro beschäftigt. Sie ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Die Klägerin wohnte lange Jahre in B.-M., ist jedoch mit ihrer Familie in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2008 oder – so die Beklagte – im Jahre 2009 nach L. nördlich von B. umgezogen. Die Familie ist dort in das Haus der Schwiegereltern der Klägerin eingezogen.
Die Beklagte ist ein konzerngebundenes Unternehmen, das an verschiedenen Standorten in der ganzen Bundesrepublik Callcenter-Dienstleistungen anbietet. Durch Tarifvertrag sind unter regionalen Gesichtspunkten nach § 3 BetrVG künstliche Betriebe geschaffen worden. Der hier betroffene Betrieb umfasste seinerzeit die Arbeitsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin (Region Nordost). Während des Rechtsstreits sind durch Tarifvertrag die Betriebsstrukturen abermals geändert worden, der Betrieb hat sich dadurch vergrößert und umfasst nunmehr zusätzlich auch die Regionen an der Nordseeküste.
Die Klägerin war ursprünglich im Juli 1992 durch und für das Fernmeldeamt 6 in Bxxx eingestellt worden (Kopie Arbeitsvertrag vom 16.07.1992, Blatt 13 d. A., es wird Bezug genommen). Sie arbeitete seit dem am Sitz des Fernmeldeamtes in der Kxxx Axxx in Bxxx (Kxxx), wo sie auch noch zum Zeitpunkt der hier streitigen Versetzung tätig war. Bis zu der hier streitigen Versetzung war die Regelarbeitsstelle (RASt) im Arbeitsverhältnis der Parteien Bxxx. Die Klägerin war zunächst als Angestellte eingruppiert in die Vergütungsgruppe IX und wurde dann 1993 und 1994 jeweils höhergruppiert, so dass sie zuletzt aus der Vergütungsgruppe VIb vergütet wurde.
In Bxxx hatte die Beklagte zuletzt noch fünf Arbeitsstätten betrieben. Neben der Arbeitsstätte in der Kxxx Axxx hatte die Beklagte noch Arbeitsstätten in der Hxxx Sxxx, in der Lxxx Sxxx, in der Bxxx und in der Sxxx betrieben.
Im Rahmen eines Reorganisationsplanes der Beklagten kam es vor der Einigungsstelle im November 2008 zum Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung „über einen Interessenausgleich und Sozialplan” zur Umsetzung des Standortkonzepts (zukünftig als GBV Standortkonzept bezeichnet). Nach der GBV Standortkonzept sollte die Anzahl der Arbeitsstätten deutschlandweit von 83 auf unter 35 reduziert werden. Ein gezielter Arbeitsplatzabbau sollte damit allerdings nicht einhergehen. Vielmehr sollten die davon betroffenen Beschäftigten zu anderen regional naheliegenden Arbeitsstätten, an denen dann gegebenenfalls zusätzliche Arbeitsplätze eingerichtet werden sollten, versetzt werden. Die GBV Standortkonzept sieht in ihrer Anlage 2a Regeln vor, aus denen sich verbindlich ergeben soll, zu welcher Arbeitsstätte (Zielstandort) die Beschäftigten der aufzugebenden Arbeitsstätten (Quellstandort) „migrieren” sollen.
In Bxxx sollten na...