Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Lehrers wegen sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Schülerin ohne vorherige Abmahnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat sich ein Lehrer wegen sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Schülerin strafbar gemacht (§ 176 StGB), ist eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich entbehrlich, da die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

KSchG § 1; StGB § 176 Abs. 4 Nr. 4; SchulG MV §§ 2, 4, 6

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 16.02.2016; Aktenzeichen 1 Ca 260/15)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.02.2016 - 1 Ca 260/15 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Der 1968 geborene Kläger absolvierte 1984 bis 1988 die Ausbildung zum Lehrer für untere Klassen und trat zum 01.08.1988 als Lehrer in den Dienst des Rates des Kreises Rügen. Ab dem 20.07.1990 beschäftigte ihn das beklagte Land als Lehrer weiter.

Der Kläger war zuletzt an der Grundschule "K." in S. als Vollzeitkraft mit einer Pflichtstundenzahl von 27,5 Unterrichtsstunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Das Monatsbruttogehalt des Klägers betrug zuletzt € 4.413,46 (Entgeltgruppe 11 TV-L). Der Kläger ist verheiratet und hat zwei unterhaltspflichtige, in den Jahren 1991 und 2015 geborene Kinder.

Im Sommer 2010 nahm der Kläger zu einer damals 10-jährigen Schülerin (geb. 2000) über Facebook Kontakt auf. Die Schülerin hatte zwar keinen Unterricht bei dem Kläger, ging jedoch in dieselbe Schule. Spätestens im Sommer 2013 lenkte der Kläger die Kommunikation mit der nunmehr 13-jährigen Schülerin auf sexuelle Inhalte. In mindestens zwei Fällen übersandte der Kläger ihr im Tatzeitraum 01.06.2013 bis 25.03.2014 Videoaufnahmen, auf denen er onanierte. Am 21.08.2014 vernahm die Polizei ihn hierzu als Beschuldigten. Zudem fand eine Hausdurchsuchung statt.

Am 30.03.2015 erließ das Amtsgericht Bergen einen Strafbefehl gegen den Kläger wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB), nämlich wegen der Einwirkung auf ein Kind durch das Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen (§ 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB). Das Amtsgericht verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es setzte die Bewährungszeit auf zwei Jahre fest und gab dem Kläger auf, jede Änderung des Wohnsitzes unverzüglich mitzuteilen und einen Geldbetrag von € 4.000,- zu zahlen. Der Strafbefehl wurde rund drei Monate später am 06.07.2015 rechtskräftig.

Nachdem das beklagte Land aufgrund der Mitteilungen in Strafsachen am 27.08.2015 von dem Strafbefehl erfahren hatte, beantragte es mit Schreiben vom 28.08.2015 bei dem Bezirkspersonalrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers, hilfsweise zur ordentlichen Kündigung zum nächstmöglichen Termin. Es teilte dem Bezirkspersonalrat die Personaldaten des Klägers mit und unterrichtete ihn über den Inhalt des Strafbefehls. Der Personalrat gab keine Stellungnahme ab.

Mit Schreiben vom 21.09.2015, dem Kläger zugegangen am 28.09.2015, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum 31.03.2016 bzw. zum nächstmöglichen Termin. An der außerordentlichen Kündigung hielt das beklagte Land später nicht mehr fest, da die hierfür geltende zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Ausspruch der Kündigung bereits abgelaufen war.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die ordentliche Kündigung vom 21.09.2015 sei unwirksam, da es an einem Grund hierfür fehle. Der Kläger habe sich nicht im Dienst strafbar gemacht. Es handele sich ausschließlich um ein außerdienstliches strafbares Verhalten. Er habe den Vorwurf eingestanden und damit dem Kind eine nochmalige Aussage erspart, um es nicht weiter zu belasten. Er habe das Strafverfahren genutzt, um bei der Polizei "reinen Tisch" zu machen. Des Weiteren habe er sich in fachärztliche Behandlung begeben, um sich zukünftig jederzeit unter Kontrolle zu haben. Der Kläger hat bestritten, dass der Personalrat ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 21.09.2015 nicht aufgelöst ist.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei angesichts der schweren Pflichtverletzung des Klägers wirksam. Ein Lehrer solle die geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten der heranwachsenden jugendlichen Menschen fördern und ihre Persönli...

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