Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine konkludente Anwendung tariflicher Regelungen auf nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer durch mehrfache Gehaltserhöhung. Anspruch auf höhere Vergütung bei vorangegangenen, mehrfachen Erhöhungen. Keine Pflicht zur Zahlung gleichen Entgelts an tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
1. Erhöht ein tarifgebundener Arbeitgeber das Gehalt eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers mehrfach analog zum Tarifvertrag, führt dies allein nicht zu einer konkludent vereinbarten statischen oder dynamischen Anwendbarkeit der jeweiligen Tarifverträge, sondern lediglich zu einer Veränderung der vereinbarten Vergütung im Sinne des § 611a Abs. 2 BGB.
2. Eine tatsächliche Gleichbehandlung des nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers mit den tarifgebundenen bei der Anrechnung von Zulagen auf Tariflohnerhöhungen hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass dieser Arbeitnehmer ebenfalls den für die tarifgebundenen Arbeitnehmer geltenden Entgeltgrundsätzen unterfällt.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611a Abs. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; BGB §§ 145 ff.
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Entscheidung vom 10.06.2020; Aktenzeichen 5 Ca 855/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 10.06.2020 - 5 Ca 855/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der übertariflichen Vergütung bzw. die Anrechenbarkeit von Tariflohnerhöhungen auf Zulagen.
Der im April 1969 geborene Kläger ist seit dem 20.09.2004 bei der Beklagten, die mit rund 500 Arbeitnehmern touristische Call-Center Dienstleistungen erbringt, beschäftigt. Die Parteien haben ihr Arbeitsverhältnis zuletzt durch den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 10.01.2006 vollständig neu geregelt. Dieser Vertrag sieht eine Vollzeitbeschäftigung des Klägers als Mitarbeiter Operation mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden bei einer Vergütung von € 2.500,00 brutto vor. Seit dem Jahr 2007 gehört der Kläger dem Betriebsrat an. Seit September 2016 ist er Vorsitzender des Betriebsrats.
Mit Schreiben vom 20.01.2012 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Gehaltserhöhung um 3,2 % auf € 3.011,00 brutto.
Am 03.12.2013 schloss die Beklagte mit Wirkung zum 01.01.2014 erstmalig einen (Haus-) Vergütungstarifvertrag mit der Gewerkschaft ver.di. Nach diesem Vergütungstarifvertrag beträgt die Gesamtgrundvergütung des Klägers in der für ihn maßgeblichen Gruppe und Stufe € 2.700,00 brutto. Der Tarifvertrag enthält in § 5 eine Besitzstandsregelung, in der es heißt:
"...
Beschäftigte, deren bisherige Grundvergütung (Gehalt) beim Inkrafttreten dieses Tarifvertrages über den Tabellenwerten ihrer jeweiligen Vergütungsgruppe und der entsprechenden Stufe liegt, erhalten ihre bisherige Grundvergütung (Gehalt) als persönlichen Besitzstand weiter fort. Dieser kann bei künftigen Vergütungserhöhungen angepasst werden.
..."
Im Zusammenhang mit der Einführung des Tarifvertrages bot die Beklagte auch dem Kläger einen Änderungsvertrag mit einer Bezugnahmeklausel an, nach der auf das Anstellungsverhältnis der jeweils gültige Tarifvertrag Anwendung findet. Der angebotene Änderungsvertrag sah eine Gesamtgrundvergütung von € 3.011,00 brutto vor, die sich aus der tarifvertraglichen Grundvergütung von € 2.700,00 und einer Ausgleichszulage von € 311,00 zusammensetzte. Der Kläger lehnte eine Unterzeichnung des Änderungsvertrages ab, da er Einschränkungen bei der ihm gewährten Arbeitszeitflexibilisierung befürchtete. Der Kläger ist nicht Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die den Tarifvertrag abschloss. In der Verdienstabrechnung des Klägers für Januar 2014 wies die Beklagte ein Gehalt von € 2.700,00 brutto sowie eine tarifdynamische Zulage in Höhe von € 311,00 brutto aus.
Die Tarifvertragsparteien erhöhten die Gehälter erstmalig zum 01.04.2015, und zwar in der hier maßgeblichen Gruppe und Stufe um € 40,00. Diesen Betrag erhielt der Kläger zusätzlich zu seinem bisherigen (übertariflichen) Gehalt, sodass sich dieses auf € 3.051,00 erhöhte. In der Verdienstabrechnung unterschied die Beklagte wiederum zwischen dem Gehalt in Höhe von € 2.740,00 und der tarifdynamischen Zulage in Höhe von € 311,00 brutto.
Zum 01.01.2016 trat eine weitere Tariflohnerhöhung in Kraft, die in der für den Kläger maßgeblichen Gruppe und Stufe eine Erhöhung um € 66,00 vorsah. Um diesen Betrag stockte die Beklagte auch das Gehalt des Klägers auf, der nunmehr € 3.117,00 brutto erhielt.
Die späteren Tariflohnerhöhungen zum 01.01.2017, 01.04.2018 und 01.04.2019 gab die Beklagte nur noch zur Hälfte bzw. etwa zur Hälfte an den Kläger weiter. Die Beklagte erhöhte das Monatsgehalt des Klägers wie folgt:
Datum |
Erhöhung Tarifvertrag |
Vergütung Tarifvertrag |
Erhöhung Kläger |
Vergütung Kläger |
Übertarifl. Anteil |
€ |
% |
€ |
€ |
% |
€ |
€ |
01.01.2017 |
214,00 |
7,63 |
3.020,00 |
107,00 |
3,43 |
3.224,00 |
204,00 |
01.04.2018 |
60,00 |
1,99 |
3.080,00 |
30,00 |
0,93 |
3.254,00 |
174,00 |
01.04.2019 |
62,00 |
2,01 |
3.142,00 |
35,00 |
1,08 |
3.289,00 |
147,00 |
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